150 Jahre Friedenskirche

Am Anfang: eine zu kleine Kirche

Es ist der 18. Juni 1871. Ein sommerlicher Tag. Am Fuße des Steeler Bergs, gegenüber dem Ruhrbruchshof, herrscht Hochbetrieb. Hier wird heute der Grundstein gelegt für die neue evangelische Kirche. Die alte ist zu klein geworden. Mit ihren 400 Plätzen platzte sie sonntags aus allen Nähten. Das war kein haltbarer Zustand, zumal die Einwohnerzahl in Steele stetig steigt und so auch ein weiteres Anwachsen der Kirchengemeinde zu erwarten ist. Die alte Kirche ist also abgerissen und das gesamte Inventar verkauft worden. Nur das Altarbild hat man gerettet, denn es soll auch die neue Kirche schmücken. Diese wird mit 1200 Sitzplätzen deutlich größer werden als die alte. 

Die alte ev. Kirche 1871 am Tag des Abrisses

Auf der Baustelle tummeln sich die Menschen: Schaulustige, Anwohner, auch die Honoratioren der Gemeinde, das gesamte Presbyterium und der junge Pfarrer der Gemeinde, Gustav Augener. Anwesend sind auch die Unternehmer Funke und Schürenberg, die den Kirchbau ausführen werden.

Ein kaiserlicher Name

Die Straßen sind geflaggt. Die Stimmung ist fröhlich. Die Kinder haben schulfrei. Nicht wegen der Grundsteinlegung, sondern weil das Kriegsende gefeiert wird. Der deutsch-französische Krieg, der auch in Steele Opfer gefordert hat, ist zu Ende. Gott sei Dank! Kaiser Wilhelm I. hat für heute das „Allgemeine Dank- und Friedensfest“ angeordnet, um den Sieg über die Franzosen zu feiern. Er hat selbst Gelder zum Bau der neuen Kirche gestiftet und schon ihren Namen genehmigt: Friedenskirche. Dass dieser „Frieden“ mit der Niederlage der Franzosen erkauft, also ein „Siegfrieden“ ist, bewegt nur wenige.

Keine fünf Steinwürfe entfernt, auf dem Laurentiusberg, gibt es eine weitere Baustelle. Hier entsteht die neue Laurentiuskirche. Sie wird 1875 eingeweiht werden. 

Steele um 1870

Um 1870 ist Steele eine aufstrebende Industriestadt. Rauchende Schlote ragen in den Himmel. Zahlreiche Zechen befinden sich auf Steeler Stadtgebiet. Die Zeche Johann Deimelsberg z.B. liegt direkt gegenüber der Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung. Die Kohle gibt vielen Bewohnern Arbeit. Weitere Arbeitgeber sind die Wisthoff‘sche Glashütte und die Eisenhütte Neuschottland. Der Bedarf an Arbeitskräften ist riesig; so ziehen immer mehr Menschen nach Steele, aus dem Sauerland, dem Siegerland, dem Hunsrück, der Eifel. In den letzten 70 Jahren hat sich die Bevölkerungszahl vervierfacht. Es leben jetzt ca 12.000 Menschen in Steele, Königssteele, Freisenbruch, Horst und Eiberg. Gerade ist die Stadt an das Eisenbahnnetz angeschlossen und die Eisenbahnbrücke über die Ruhr fertiggestellt worden. Das ist wichtig, vor allem für den Gütertransport. Eine Brücke für Fußgänger und Gespanne ist in Planung. Bislang gibt es für sie nur eine Fähre.

Kuren in Steele

Übrigens hat man in der Nähe der Stiftung vor zwei Jahren eine salzhaltige Quelle entdeckt und so wird Steele für rund 20 Jahre Kurbad. Im „Solbad Heilborn Steele“ kann man solehaltige Bäder nehmen. Bis Ende der 1880er Jahre die Quelle nach und nach versiegt.

Not und Hilfe

Die zunehmende Bevölkerungsdichte birgt auch Probleme. Wohnraum ist knapp; die hygienischen Verhältnisse sind zum Teil katastrophal. Mitte der 1860er Jahre forderte die Cholera 200 Todesopfer. Daraufhin wurde endlich für eine ordentliche Kanalisation gesorgt und es sind zwei Krankenhäuser im Bau: das katholische Laurentiuskrankenheim und das evangelische Lutherkrankenhaus am Steeler Berg. Die kleine Kapelle „Zur schmerzhaften Mutter“, heute in der Augenerstraße gelegen, erinnert an die Cholera-Epidemie. Auch wird 1869 der „Frauenverein für die Armen- und Krankenpflege“ gegründet. Erste Vorsitzende ist Anna Augener, die Frau des Pfarrers. Seine Aufgabe sieht der Verein in der unbürokratischen Nächstenliebe von Tür zu Tür. Durch den Krieg, durch wirtschaftliche Krisen und Krankheiten sind viele Familien in Not. 

Taufkanne, Taufschale und Abendmahlskelch aus dem 19. Jht. sind bis heute in Gebrauch

Steele selbstbewusst

Das Selbstbewusstsein der Steelenser zeigt sich in reger Bautätigkeit. Das heutige Carl-Humann-Gymnasium öffnet seine Pforten; auch das Lyzeum und die Jüdische Schule am Isinger Tor gehen in Betrieb. Seit 1860 gibt es eine evangelische Volksschule in Königssteele. Bereits 1869 wird sie durch einen größeren Neubau ersetzt. Lehrer dort ist über viele Jahrzehnte Heinrich Deimel (nach dem der Deimelsberg benannt ist). Bis 1870 hat er auch das Amt des Organisten und des Küsters an der Friedenskirche inne. Dann wird das Küsteramt abgetrennt und Karl Quade übertragen. Familie Quade stellt den Küster an der Friedenskirche über sechs Generationen bis 1995. 

Der Steeler Stadtgarten wird angelegt, finanziert aus Spenden der Steeler Bürgerschaft. Die Straßen werden befestigt und beleuchtet; ein eigenes Elektrizitätswerk liefert den Strom. Gebäude für Amtsgericht, Post, Sparkasse entstehen. Die neue evangelische Kirche passt ins Bild.

Zum Weiterlesen (die Schriften stehen zur Zeit leider noch nicht digital zur Verfügung):

Rudolf Picard, Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Ev. Friedenskirche in Königssteele am 14. November 1922

100 Jahre Friedenskirche, hg. vom Presbyterium 1972

300 Jahre Ev. Kirchengemeinde Königssteele zu Essen-Steele. Festschrift 1997 

Fotos: Steeler Archiv, Peter Gwiazda, Mirko Raatz, Winfried Bido, Hanna Mausehund