DIY – das Böse mit Gutem überwinden

In der Corona-Zeit- und damit meine ich die Zeit des Lockdowns von Mitte März bis Ende April – hatte der Tag für manche zu wenig Stunden, um home schooling und home office unter einen Hut zu bekommen, andere suchten nach Möglichkeiten die Stunden zuhause sinnvoll zu füllen. Im Internet wurden vermehrt Seiten angezeigt, die erklärten wie man Brot selbst macht oder seinen home-office-Platz mit wenigen Handgriffen verschönert. Manch einer oder eine holte die Nähmaschine aus dem Keller – nicht nur zum Masken nähen. Unter dem Stichwort DIY – do it yourself, also mache es selbst- gibt es unzählige Anleitung im Internet. Die ältere Generation kann zurecht anmerken: Hinter diesem englischen Label, DIY, verbirgt sich ja doch nur das, was wir eh schon immer machen. Wovon besonders die Nachkriegsgeneration ein Lied singen kann: Am Haus werkeln, aus Resten etwas Neues schaffen, Sachen flicken und stopfen. Nicht outsourcen, an andere delegieren, sondern selbst anpacken.

Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom und gibt ihnen eine listenhafte Anleitung mit auf den Weg, wie ein „lebendiges, heiliges und Gott wohlgefälliges Leben“ aussehen kann. Hier geht es nicht um Tipps zum Verschönern der vier Wende, sondern um Tipps für ein gelingendes Miteinander. Aber das alles zum selbst machen.

Vergeltet Böses nicht mit Bösem.
Habt den anderen Menschen gegenüber
stets nur Gutes im Sinn.
Lebt mit allen Menschen in
Frieden
soweit das möglich ist
und es an euch liegt.
Nehmt nicht selbst Rache, meine Lieben.
Überlasst das vielmehr dem gerechten Zorn Gottes.
In der Heiligen Schrift steht ja:
»›Die Rache ist meine Sache,
ich werde Vergeltung üben‹ –
spricht der Herr.«
Im Gegenteil:
»Wenn dein Feind Hunger hat,
gib ihm zu essen.
Wenn er Durst hat,
gib ihm zu trinken.
Wenn du das tust,
ist es, als ob du glühende Kohlen auf seinem Kopf anhäufst.«
Lass dich nicht vom Bösen besiegen,
sondern besiege das Böse durch das Gute!

Mein erster Impuls ist der gleiche wie beim ganzen DIY- mache es selbst – Hype. Dieses Projekt wird mich nur frustrieren, weil ich von Anfang an weiß, ich kann es eh nicht schaffen. Es mag ja sein, dass es eine Handvoll Helden gibt, die diese Anleitung von Paulus für ein Gott wohlgefälliges Leben gut hinbekommen, aber für mich ist das ein viel zu großes Projekt. Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute. Da überlasse ich das Feld gerne Mahatma Gandhi und Mutter Theresa oder vielleicht noch an ein paar Leute in Hilfsorganisationen. Meine Reaktion also eine Mischung aus einem entrüsteten: „Der spinnt wohl!“ Und einem resignierten: „Das schaffe ich nie.“

Vergeltet Böses nicht mit Bösem. Habt den anderen Menschen gegenüber stets nur Gutes im Sinn. Ja, was Paulus da fordert, geht weit über das das Aufmöbeln einer alten Kommode oder dem selber Basteln einer Karte hinaus.

Paulus fordert ein Ende von Feindschaften. Ein Ende von „das kann ich dir nie verzeihen“ und „den habe ich abgeschrieben“. Ein Ende von „mit dem kann man doch eh nicht reden“ und „gut, dass es den auch mal so richtig erwischt.“

Feinde treiben einen an die Wand. Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Mir fällt ein anstrengender, entfernter Verwandter ein. Ok, Feind ist ein großes Wort. Sagen wir Kontrahent. Auf Familienfeiern will er jedes Mal mit mir über meinen Glauben diskutieren. Schnell habe ich gemerkt, dass er nicht wirklich interessiert ist, sondern mich nur herausfordern will. Mich zu Fall bringen durch seine Argumente, die gegen das Christentum zielen. Er verletzt mich, indem er das, was ich glaube, lächerlich macht. Also packe ich die Geschütze aus und schlage zurück. Mit meiner Sichtweise auf den Glauben kann ich ihn nicht schlagen, daher ändere ich meine Strategie. Gehe auf eine andere Ebene über, versuche ihn persönlich zu treffen. Nehme ihn ins Visier und feure ab. „Kein Wunder, dass du keine Freunde hast und ganz alleine bist“. Pang. Der hat gesessen. Vergelte Böses nicht mit Bösen.

Neulich hat mir ein Kollege von einem Trauergespräch erzählt. Er war zu Besuch bei einer Frau, deren Mutter verstorben ist. Auf seine Frage, wer aus der Familie noch zur Beerdigung kommen wird, antwortet sie: Ich habe noch einen Bruder, aber der braucht bei der Beerdigung gar nicht erst auftauchen. Nein mit dem habe ich abgeschlossen. Wir haben kein Kontakt mehr. Schon seit vielen Jahren nicht. Früher da waren wir ganz eng, aber es ist einfach zu viel vorgefallen. Ist auch besser so. Sie wiederholt es wie ein Mantra. „Ist auch besser so.“ Vielleicht für ihn – vielleicht auch für sich selbst. Lebt mit allen Menschen in Frieden – soweit das möglich ist und es an euch liegt.

Es ist so schwer, Paulus. Die Feindschaft hinter sich zu lassen. Dem Feind sogar auch noch Gutes zu tun. Ihn zu umsorgen. Essen und Trinken zu geben. Das Böse mit Gutem zu überwinden. So schwer. Und was ist der Preis? Oft sehe ich nicht mal das Ergebnis. Nehme mich selbst zurück, lege die Waffen beiseite. Setze nicht noch mal mit einer spitzen Bemerkung nach oder versuche die Genugtuung, wenn die fiese Kollegin beim Chef so richtig aufläuft, ganz weit weg zu verbannen. Bei der nächsten Begegnung gerate ich doch wieder unter Beschuss. Nur weil ich selbst aufhöre, muss der andere ja nicht auch automatisch aufhören. Da streiche ich lieber à la do it yourself eine Wand, denn das sehe ich wenigstens das Ergebnis.

Paulus fordert – und viele, die seine Worte hören, fühlen sich überfordert. Neben den Reaktionen „Der spinnt wohl!“ Und „Das schaffe ich nie,“ gibt es aber noch eine weitere Möglichkeit „Ok, ich probiere es mal“ oder vielleicht sogar „Ich kann es schaffen.“

Aber warum sollte das möglich sein? Böses nicht mit Bösem zu vergelten? Sich nicht selbst zu rächen?
In jedem Jahrgang gibt es mindestens zwei Konfirmanden oder Konfirmandinnen, die den Vers Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute“ als Konfirmationsspruch wählen. Vielleicht denken sie sich dabei „ja genau das will ich tun. Das ist wichtig.“ Und sie glauben daran, dass es möglich ist. Auch Paulus weiß, dass es Möglichkeit gibt, Gutes zu tun, sogar den Feinden. So schreibt er an anderer Stelle: Wenn jemand zu Christus gehört, gehört er schon zur neuen Schöpfung. Das Alte ist vergangen. Seht doch! Etwas Neues ist entstanden! In der Konfirmation bestätigen die Jugendlichen, dass sie zu Christus gehören. Sie sagen ja zum Glauben. Zum Glauben, dass einer oder eine, die zu Christus gehört, Anteil seiner Auferstehungskraft hat. Anteil an der Kraft, die das Böse überwinden kann, ja sogar den Tod. Und so wird aus der Forderung eine Ermutigung: Ihr könnt es gut machen, weil euer Handeln aus Glauben geschieht. Ihr seid frei, zu werden, was ihr vorher nicht wart und sein konnte. Frei im Glauben, dass ihr zu Christus gehört und mit seinem Geist die Möglichkeit zu Neuem habt.

Do it yourself – mache es selbst- ist also in dem Sinn angesagt, als dass wir die Aufgabe nicht jemanden anderen überlassen können, der das gute Tun dann für uns übernimmt. Es bedeutet aber nicht „mache es selbst“ im Sinn von „mache es alleine“. Denn alleine sind wir bei dieser Aufgabe nie. Der Verweis auf Gottes gerechten Zorn mag unserem Gottesbild zuwiderlaufen, aber es sagt auch: Ich bin der Herr dein Gott. Ich bin da und sorge mich um die Gerechtigkeit. Ich mache mit – wenn du es probierst.

Und was ist, wenn ich doch scheitere? Wenn ich dem anderen in meinem kleinen Rachefeldzug doch ein Bein stelle?
Paulus ist ein Realist. Er weiß, dass die Welt nicht von Mutter Theresas bevölkert ist und wenn wir ehrlich sind, ist sie wahrscheinlich an irgendeinem Punkt schon einmal gescheitert. Paulus weiß, dass wir nicht immer gut handeln können, selbst wenn wir uns noch so doll anstrengen. Und doch verliert er sich nicht in Resignation. Wirft nicht von vorneherein das Handtuch, weil wir doch eh immer wieder Scheitern werden. Nein, Paulus Haltung ist vielmehr ein: „Jetzt erst recht. Ich probiere es immer und immer wieder.“  Vielleicht im Sinne von Hinfallen, Aufstehen und weiter probieren. Er stellt sich dem Gegensatz von Gutes tun wollen und es nicht immer schaffen können. Dabei verfällt er aber dennoch nicht in ein schwammiges ‚vielleicht.‘ Seine Vorstellung von einem vorbildlichen Zusammenleben ermuntert zum Versuch, das Menschenmöglich zu tun. Nicht mehr und nicht weniger. Den Rest macht Gott.

Und wer weiß, vielleicht sieht man manchmal ja doch Ergebnisse. Die Redewendung glühende Kohlen auf dem Haupt des Feindes anzuhäufen spielt auf einen alten ägyptischen Brauch an. Wer sich schämte für etwas, was er getan hatte, der lief mit einem Becken voll glühender Kohlen auf dem Kopf herum. Dem Feind Gutes zu tun ist also mit der Hoffnung verbunden, dass er sich für seine Taten schämt.

Nach dem Abfeuern des verletzenden Kommentars gegen meinen entfernten Verwandten habe ich mich auch geschämt. Nicht direkt. Ein paar Stunden später und eine Mail geschrieben, in der ich mich entschuldigt habe. Ich wollte dem fiesen Kommentar nicht das letzte Wort lassen. Neue Worte fassen. Dem Bösen etwas Gutes entgegensetzen. Auch wenn es die gesagten Worte nicht ungeschehen macht. Der Verwandte hat meine Entschuldigung angenommen. Ich kann ihm wieder in die Augen schauen. Anstrengend sind die Begegnungen doch immer noch. Aber ich probiere nun mich vorher innerlich darauf vorzubereiten. Eine andere Haltung einzunehmen. Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!
Probiere es selbst aus – do it yourself.
Amen