Beschenkt

Eine Predigt mit Lukas 5,1-11

Sie machen einfach ihre Arbeit ganz normal,

tagaus, tagein, Netze auswerfen, Netze einholen.

Jakobus, Johannes und Simon Petrus

erleben etwas ganz Normales: einen Misserfolg.

Ich hab gefischt, ich hab gefischt, ich hab die ganze Nacht gefischt …

Dieses Mal sind die Netze eben leer geblieben.

Sie werden es wieder versuchen. Neuer Tag, neues Glück.

Vielleicht reden sie beim Netze Waschen noch darüber,

was sie beim nächsten Versuch besser machen könnten.

Aber wahrscheinlich ist man sich an diesem Morgen am See Genezareth

im Großen und Ganzen einig darüber, dass man nicht viel besser machen kann;

dass es eben keine Erfolgsgarantie gibt,

solange nicht irgendwelche wundersamen Geräte erfunden werden,

mit denen man die Fische unter Wasser genau orten kann.

In ihrer Zeit ist das noch Zukunftsmusik, Sonargeräte sind science fiction.

Die jungen Männer arbeiten in einem Beruf,

der sie Tag für Tag und Nacht für Nacht spüren lässt,

dass es Kräfte in der Natur gibt, die für sie als Menschen unkontrollierbar sind.

Sie trotzen Wind und Wellen und sind nach jedem Unwetter froh,

wenn sie wieder heil nach Hause zu ihren Familien kommen.

Ihre Beute lebt in freier Wildbahn.

Es ist nie selbstverständlich, mit vollen Netzen an Land zurückzukehren.

Es ist immer ein Segen, wenn es gelingt;

immer ein Grund zur Dankbarkeit,

wenn man so von der Natur beschenkt worden ist;

Grund genug, dem Schöpfer zu danken.

 

Lukas erzählt: Simon und seine Leute warfen die Netze aus.

Sie fingen so viele Fische, dass ihre Netze zu reißen drohten. (Lukas 5,6)

Hab keine Angst, sagt Jesus zu Simon,

von nun an wirst du ein Menschenfischer sein. (Lukas 5,10)

Simon Petrus, Jakobus und Johannes werden diesen Tag nie vergessen.

Müde und enttäuscht wie sie sind,

erleben die drei ein Wunder, eine überraschende Begegnung mit Gott,

einen heiligen Moment und die Berufung in eine neue Aufgabe.

Ihre Arbeit als Fischer wird zum Sinnbild für diese neue Lebensaufgabe.

An jenem Morgen reißen beinahe ihre Netze.

Sie holen Hilfe und beladen gemeinsam die beiden Boote, bis sie randvoll sind.

Auch als Menschenfischer machen sie solche Erfahrungen.

Sie erleben Tage, an denen unzählige Menschen kommen, um Jesus zu hören.

Und sie erleben Tage, an denen die «Netze» leer bleiben.

Sie erleben, dass sich das kaum vorhersehen und planen lässt.

Jeder Tag ist eine Überraschung.

Sie erleben Niederlagen und Misserfolge,

Zweifel und sie erleben ein vorläufiges Ende dieser wilden Reise,

auf die Jesus sie mitnimmt.

Sie haben alles zurückgelassen und sind ihm gefolgt.

Dann ist er weg und irgendwie im Geiste doch wieder bei ihnen.

Die Jünger «werfen» ihre Netze auf’s Neue aus

und erleben wie dadurch eine unfassbare Menge zusammenkommt.

Nach Karfreitag und Ostern ist zunächst gar nicht klar, wie es weitergehen soll.

Doch dann erleben sie dieses Pfingstfest in Jerusalem.

Und es geht weiter bis heute.

 

Es geht weiter bis heute auch in diesen Tagen,

in denen in unserer Kirche wieder über Mitgliederschwund geredet wird.

Wir werden weniger.

Simon Petrus, Jakobus und Johannes wären heute

nicht nur fasziniert von Sonargeräten und GPS-Navigation von Fischerbooten.

Sie wären bestimmt auch überwältigt von der großen Zahl an Menschen,

die sich bis heute Christinnen nennen.

Und es bleibt ein Geschenk.

Ein Geschenk des Himmels,

wenn ein Mensch sich diesem Weg anschließt und Glauben findet.

Auf jedem Kontinent wurden Kirchen gegründet.

Es ist ein gewaltiges Geschenk, eine nicht vorhersehbare Entwicklung.

 

So viele Menschen sind Jesus gefolgt.

Glauben ist natürlich nicht messbar,

aber die Zahl der Christen wächst weltweit. Europa ist die Ausnahme.

Es begann mit ganz einfachen Menschen.

Mit welchen, die Misserfolge kannten und sich ihrer Schwächen bewusst waren.

Mit welchen, die Schuld eingestehen konnten und auf die Knie gingen.

Als Simon Petrus das sah, fiel er vor Jesus auf die Knie und sagte:

Herr, geh fort von mir!

Ich bin ein Mensch, der voller Schuld ist!

Denn Schrecken ergriff ihn und die anderen, die dabei waren,

weil sie einen so gewaltigen Fang gemacht hatten.

Ich bin bloß ein Mensch, sagt Petrus.

Und sieht sich in diesem Moment der maximalen Güte Gottes gegenüber.

Der richtet ihn auf, hab keine Angst! Von jetzt an wirst du ein Menschenfischer sein.

 

Vielleicht habe ich Sie beim Zuhören längst verloren,

weil «Menschen zu fischen» doch gar keine positive Sache ist.

Vielleicht überlegen Sie schon längst wie man es besser sagen könnte.

Denn das Sprachbild passt doch nur teilweise, vor allem weil die Fische,

die Simon, Johannes und Jakobus aus dem See ziehen, sterben.

Sie sind Teil der Nahrungskette: gefangen, um aufgegessen zu werden.

Lukas hat sich beim Schreiben seines Evangeliums auch schon damit beschäftigt, wie man es am besten ausdrücken könnte.

Er verwendet ein Wort, das «lebendig fangen» bedeutet.

Das ist schon mal ein wichtiger Unterschied.

Aber damit ist das Problem auch noch nicht ganz gelöst.

Wer will schon gerne gefangen werden?

Vielleicht denken Sie auch an den Rattenfänger von Hameln,

der Menschen fängt und mit sich nimmt.

Man hat sie nie mehr gesehen.

Und mancher stört sich an dem Ausdruck vom «Menschenfischen»,

weil es eben schon viel zu viele «religiöse Rattenfänger» gab

und weiterhin gibt …

Das kann’s doch nicht sein!

 

Aber was kann es dann sein?

Petrus und die anderen gehen bei Jesus in die Schule.

Sie lernen von ihm.

Sie achten darauf, wie er Menschen «fischt».

Wo er sie findet.

Wie er sie ansieht.

Ich würde sagen, wie er Menschen «um sich schart».

Er nimmt sie mit auf einen Weg, dessen Ziel größer ist als er selbst.

Sie gehen bei Jesus in die Schule und das bedeutet,

auf seine Art des Menschenfischens zu achten:

wie er die Schwachen, die Armen,

die sich selbst Sünder nennen, ansieht.

Die fischt er sich nämlich ganz bewusst heraus.

Menschen, die am Rand lebten, stellt er in den Mittelpunkt,

Frauen wie Männer und auch Kinder.

Lukas erzählt im nächsten Abschnitt davon,

wie Jesus einem Mann begegnet, der wie ein Aussätziger behandelt wurde.

Er hatte vielleicht wirklich eine ansteckende Krankheit.

Vielleicht hatte man ihn auch nur aus Angst aus der Gemeinschaft ausgeschlossen.

Sein Ausschluss aus der Gesellschaft war dann auch noch mit religiösen Gesetzen begründet worden – «unrein» sollte er sein.

Jesus heilt ihn, holt ihn zurück.

Er streckt die Hand aus, berührt ihn und spricht die entscheidenden Worte.

Was ihn von seinen Mitmenschen trennte, verschwindet in diesem Augenblick.

Es heißt, die Menschen strömten ihn Scharen herbei, um Jesus zu hören

und von ihren Krankheiten geheilt zu werden.

 

Lukas erzählt diese Heilungswunder.

Sie spiegeln Erfahrungen wider von Menschen, die sich Jesus geangelt hat,

um sie zu befreien und zurück zu bringen in Kontakt mit sich selbst

und Gott und ihren Mitmenschen.

Und Lukas erzählt, dass er predigt:

Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist.

Niemand wird gegen seinen Willen festgehalten.

Ich höre auch nirgendwo bei Jesus das verführerische Versprechen,

dass alles leichter wird, wenn man ihm folgt.

Aber ich höre heute Morgen eine Ermutigung für alle,

die schon mal leer ausgegangen sind …


Zieht euch nicht zurück.

Geht noch mal raus, sucht die Begegnung, werft «eure Netze aus»!

In einer Predigt wenig später sagt er:

Schenkt, dann wird Gott auch euch beschenken:

Ein reichliches Maß wird euch in den Schoß geschüttet –

festgedrückt, geschüttelt und voll bis an den Rand (Lukas 6,38)

so voll wie die Boote an jenem Morgen.

Amen.