Der 7. Tag

Heute begleitet uns eine Geschichte aus dem Markus-Evangelium. Dort heißt es:

23 An einem Sabbat ging er durch die Kornfelder und unterwegs rissen seine Jünger Ähren ab. 24 Da sagten die Pharisäer zu ihm: Sieh dir an, was sie tun! Das ist doch am Sabbat nicht erlaubt. 25 Er antwortete: Habt ihr nie gelesen, was David getan hat, als er und seine Begleiter hungrig waren und nichts zu essen hatten, 26 wie er zur Zeit des Hohepriesters Abjatar in das Haus Gottes ging und die Schaubrote aß, die außer den Priestern niemand essen darf, und auch seinen Begleitern davon gab? [2] 27 Und Jesus sagte zu ihnen: Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat. 28 Deshalb ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat.

Ich stelle mir vor, wie so vor Jesus stehen und mit ihm rechten:
Es geht ums Prinzip, sagen sie. Man kann nicht einfach tun, was man will. Wo kämen wir hin, wenn das alle täten.Darum haben wir doch die Gesetze und Regeln. Sie sagen uns, was zu tun und zu lassen ist. Auch am Sabbat. Gerade am Sabbat, dem Ruhetag.

Man kann nicht einfach durchs Feld spazieren und Ähren ernten. Feldarbeit ist am Sabbat prinzipiell untersagt. So steht es im 4. Gebot:

Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst. 6 Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun, aber der 7. Tag ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, und auch nicht dein Fremdling, der in deinen Städten wohnt. Denn in sechs Tagen hat Gott Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und er ruhte am 7. Tage.

Entrüstet sind sie, die Kritiker. Wie kannst du zulassen, dass deine Leute heute am heiligen Ruhetag Ähren puhlen? Kennst du nicht die Regeln?

Sie selbst folgen den Regeln nach bestem Wissen und Gewissen. Sie strengen sich an, stecken mitunter zurück, wollen Vorbild sein und sind es auch. Sie berufen sich auf die Autorität der Bibel. Es geht ums Prinzip. Um Gottes Sache.

Der Sabbat ist für Jüdinnen und Juden ein besonderer Tag. Paul Spiegel, ehemaliger Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, schreibt:
Der Schabbat spielt innerhalb des Judentums vielleicht die zentrale Rolle innerhalb des Glaubens. Schließlich wird er schon in den 10 Geboten erwähnt. Er ist darum wichtiger und heiliger als alle anderen Feiertage… (Paul Spiegel, Was ist koscher?, 2005, S. 199).

Und er wird besonders gefeiert. Am Freitagabend, dem Beginn des Sabbats, wird der Tisch festlich gedeckt, die Familie kommt zusammen, es gibt gutes Essen, die Frau des Hauses zündet Kerzen an und spricht ein Segensgebet. So ist alles bereit für den Empfang der „Königin Schabbat“. Wenn sie eintritt, macht sie mit ihrem Glanz die Herzen weit.

Schabbat – das hebräische Wort bedeutet: unterbrechen, aufhören. Am Schabbat darfst du aufhören, Pause machen. Kannst alle Arbeit fallen lassen und genießen, feiern, Gott loben. So wie Gott ruhte am 7. Tag.

Ich erinnere mich an Sonntage in meiner Kindheit und Jugend. Es gab ein paar Regeln, an die wir Kinder uns zu halten hatten: gemeinsames Frühstück mit der Familie; gemeinsamer Gottesdienstbesuch. Sonntagsessen und Sonntagsruhe. Freunde durften wir Kinder am Sonntag nicht einladen, man traf sich auch nicht mit Schulkameraden. Man war zu Hause. Irgendwann gab es Kaffee und Kuchen und den obligatorischen Sonntagsspaziergang. – Ich weiß noch, wie öde ich manche Sonntage fand und wie sinnlos die Regeln. Es waren die Prinzipien, nach denen damals viele Familien ihren Sonntag gestalteten.

Wenn es ums Prinzip geht, gibt es erfahrungsgemäß wenig Spielraum.
Da zählt, was immer gilt:

Du bist um 22.00 Uhr zu Hause. Punkt.
Weihnachten gehört der Familie.
Am Sonntag sind die Geschäfte geschlossen.
Aufnahme von Flüchtlingen nur bei einer EU-weiten Lösung.

Prinzipien schaffen Klarheit. Man weiß, woran man ist. Doch manchmal behindern sie das Leben.

Jesus war Jude. Er lebte mit und in den jüdischen Traditionen. Er feierte den Sabbat; er ging zum Beten in den Tempel; er lebte nach den 10 Geboten. Und er brachte immer wieder erfrischend neue Gedanken ein. Er war ein Reformator.

Seinen Kritikern sagt er: Lasst mal Luft in eure Prinzipien. Natürlich geht es um den Sabbat, aber in 1. Linie geht es um die Menschen. Habt ihr nicht auch dies gelesen?, fragt er. Die Geschichte von David und den heiligen Broten? Auch Jesus beruft sich auf die Bibel und das, was sie erzählt. Sie erzählt nämlich auch von gesegneten Ausnahmen. Der spätere König David tut in einer Notsituation etwas, was absolut gegen die Prinzipien seiner Zeit ist. Er nimmt von den heiligen Broten im Tempel, die Gott geweiht sind und nur vom Priester berührt werden dürfen. Er gibt sie seinen Leuten zu essen, weil sie auf der Flucht sind und Hunger haben und nichts anderes greifbar ist. Ein Tabubruch.

Wenn es nötig ist, so verstehe ich Jesus, wenn es Not wendet, dann kann es nicht ums Prinzip gehen. Sondern nur um die Liebe. Nur um den Menschen. Dann kann es auch mal heißen:

Im Prinzip bist du um 22 Uhr zu Hause. Aber weil es dir so wichtig ist, hole dich heute später ab.
Weihnachten gehört der Familie – ja, aber warum nur ihr?
Am Sonntag bleiben Geschäfte geschlossen, ja – aber in Coronazeiten darf man auch anders denken.
Aufnahme von Flüchtlingen nur wenn alle in der EU mitmachen, im Prinzip ja – aber um des Lebens der Menschen willen bitte auch kreative Lösungen.

Der Feiertag ist für den Menschen da. Er ist ein Geschenk zum Ruhen, Danken, Genießen und Gott loben. Unabhängig vom Wochentag – ein Tag zum Heilwerden.

Welchen Prinzipien folgst du? Wie streng handhabst du sie? Wen misst du daran? Wo und wann könntest du im Prinzip offener sein? Lockerer? Lebendiger? Dem Leben und den Menschen zugewandt? Von Gott beschenkt mit dem 7. Tag, um genau das zu probieren.
Hanna Mausehund