Ein Vorgeschmack des Himmels

In meiner Kindheit verbrachten wir die Sommerferien immer auf einem Bauernhof in den Bergen. Hoch über einem See mit weitem Blick auf die teils schneebedeckten Gipfel, mit Tieren im Stall und einer überaus freundlichen Gastfamilie. Ich liebte diese Wochen über alles. Sie schmeckten nach Honigbrot und Limonade. Sie waren erfüllt vom Geruch nach frisch gemähtem Gras, von Sonne auf der Haut, vom Gefühl unendlicher Freiheit und Zeit satt. Der Himmel auf Erden. So kam es mir vor.

Die Ferien begannen schon Wochen zuvor, wenn der Koffer entstaubt wurde und rausgelegt wurde, was mitzunehmen sei: Die kurzen Hosen, der Badeanzug, Bücher zum Lesen, ein Spiel. Jedes Teil ein wunderbarer Vorgeschmack auf die Ferienzeit. Ein Versprechen, dass der Sommer unaufhaltsam kam.

Ein Vorgeschmack macht Lust auf mehr, lässt dich vibrieren, du hast irgendwie schon Anteil, schmeckst das Besondere schon und musst doch noch etwas warten. Ein Vorgeschmack kann dich tragen, bis der Sommer kommt.

Maria sitzt mitten unter den Gästen. Sie feiert ausgelassen mit, sie isst und trinkt, tanzt und lacht. Eine Hochzeit ist immer so besonders. Ein Fest der Freude und des Glücks. Auf Zukunft ausgerichtet. Auf Kinder und Familie. Alles ist offen.

Maria ist eingeladen zum Fest, zusammen mit Jesus und seinen Jüngern. Doch dann, mitten im Fest dieser Schrecken: der Wein ist alle. Wie peinlich ist das denn! Haben sie zu wenig eingekauft, die Gastgeber? Waren Sie zu knauserig? Was nun? Kippt die Stimmung? Ist das Fest zu Ende? Nein, bitte nur das nicht! Maria steht auf und wird aktiv. „Jesus, tu was“, sagt sie ihrem Sohn, der auch unter den Gästen ist. Sie vertraut ihm, sie ahnt, dass wo er ist, etwas von Gottes Fülle aufblitzt. Ein Vorgeschmack des Himmels.

Der Evangelist Johannes erzählt ganz am Anfang seines Evangeliums, im 2. Kapitel, die Geschichte von der Hochzeit zu Kana. Erzählt, wie Jesus zu den Bediensteten sagt: Füllt die großen Wassergefäße, die wir zur rituellen Reinigung vor dem Essen nutzen, mit Wasser, randvoll bis oben hin, und dann ruft den Chef de cuisine, damit er probiert. Und als der das tut, schmeckt er – Wein, den köstlichsten Wein, den er je probiert hat. In Gegenwart Jesu wandelt sich Wasser zu Wein wandelt das Alltägliche wird zum Besonderen wird. Aus Mangel wird überströmende Fülle. Und Johannes nennt es „ein Zeichen“. Das „erste Zeichen, das Jesus tat“.

Ein Zeichen deutet auf etwas hin. Es ist nicht die Sache selbst. Es ist ein Hinweis, ein Vorgeschmack. So ist der Urlaubskoffer noch nicht der Sommer. Aber ein deutliches Zeichen für das Verreisen, für Ferien und Sonne.

Jesus hilft dazu, dass das Hochzeitsfest weitergehen kann. Der Festmeister schöpft den Gästen aus der neu gewonnenen Fülle. So wird die Hochzeit zu Kana zum Zeichen für mehr, sie wird zum Vorgeschmack auf das Fest des Lebens, das Gott seinen Menschen ausrichtet. Ein Vorgeschmack des Himmels und seiner Herrlichkeit.

In diesen Wochen fühlen viele von uns sich weit entfernt von Fest und Feierlaune. Wir dürfen ja auch nicht feiern zurzeit. Wir müssen auf vieles verzichten. Das ist frustrierend, bei manchen weckt es weckt Ängste. Auch unabhängig von Corona kann das Leben mühsam sein, weit weg von Fest und Feierlaune. Ein Hungern nach Sinn, nach Gerechtigkeit, nach Liebe. Manchmal ist es ein einziges Fragezeichen. Das nagt an den Kraftquellen; manch einer oder eine erlebt, wie sich der Akku gerade aufbraucht, wie die Gefäße leer sind.

Wie gut, wenn das jemand merkt. Auf der Hochzeit zu Kana ist es Jesu Mutter, die entdeckt, was fehlt: „Der Wein ist alle“. Das ist der erste wichtige Schritt, um aus dem Mangel rauszukommen: ihn sehen und benennen. Hier fehlt was. Mir fehlt was. Der Vorrat ist aufgebraucht. Der Vorrat an Energie, Geduld, an Glauben, an Hoffnung. Das Gefäß ist leer. Ich bin leer.

Und dann? Was kann geschehen? Welchen Weg zeigt die Geschichte des Johannes? Sie erzählt von einer Wandlung. Sie erzählt, wie die leeren Gefäße gefüllt werden, randvoll, mit kostbarem Wasser, das den Durst stillt und das reinwäscht. Und wie daraus geschöpft wird. Im Schöpfen verändert sich etwas. Im Schöpfen wird aus Wasser Wein. Ein Wunder!

Und ein Zeichen. Es geht nicht vorrangig um Wasser und Wein und die Frage, wie der Wandel chemisch möglich ist. Es geht um mich, um meine Wandlung. Mir wird die Geschichte ja erzählt, damit mit mir etwas geschieht. Ich kann mich füllen und wandeln lassen.

Wo immer von Jesus die Rede ist in den Geschichten der Bibel, wo immer er Menschen begegnet, geschieht diese Wandlung. Menschen stehen auf, werden heil, Menschen sehen ihr Leben in neuem Licht, beginnen einen neuen Weg, folgen ihm nach.

Das Johannesevangelium erzählt insgesamt siebenmal von einem Zeichen, das Jesus tat. Die Hochzeit zu Kana ist das erste. Sie ist nicht das Ganze. Sie ist ein Vorgeschmack: Wenn schon aus Wasser Wein werden kann, wie wird dann erst mein Leben verwandelt werden können. Zur Fülle. Zum Fest. Zur Herrlichkeit Gottes.

Hanna Mausehund