Gast sein

Ich bin gerne Gast. Ich freue mich, wenn mich jemand einlädt und freundlich willkommen heißt. Wenn ich spüre, dass ihm oder ihr an mir liegt und ich mich einbringen kann mit dem, was mich bewegt.

Ich bin auch gerne Gastgeberin und lade Menschen ein. Dann überlege ich mir, was ich koche oder backe, damit sich die Gäste wohlfühlen. Oder was wir gemeinsam unternehmen. Sicher, Gastgeberin sein bedeutet auch Arbeit: ist die Wohnung aufgeräumt, das Bad okay, genug eingekauft… Aber das Schönste am Besuch ist doch, eine gute Zeit zusammen zu haben und manches zu teilen: Gedanken, Essen und Trinken, Zeit, Wohnraum, Leben. Wenn man dann wieder auseinander geht, bin ich irgendwie verändert, ich bin erfüllt, angeregt, dankbar.

In der Bibel spielt Gastfreundschaft eine große Rolle. Viele biblische Geschichten sind Besuchsgeschichten. Einer kehrt beim anderen ein, wird großzügig bewirtet und erlebt etwas Besonderes. Zum Beispiel Abraham und Sara. Im 1. Buch Mose, Kap. 18, steht:

Und der HERR erschien Abraham im Hain Mamre, während er an der Tür seines Zeltes saß, als der Tag am heißesten war. 2 Und als er seine Augen aufhob und sah, siehe, da standen drei Männer vor ihm. Und als er sie sah, lief er ihnen entgegen von der Tür seines Zeltes und neigte sich zur Erde 3 und sprach: Herr, hab ich Gnade gefunden vor deinen Augen, so geh nicht an deinem Knecht vorüber. 4 Man soll euch ein wenig Wasser bringen, eure Füße zu waschen, und lasst euch nieder unter dem Baum. 5 Und ich will euch einen Bissen Brot bringen, dass ihr euer Herz labt; danach mögt ihr weiterziehen…

Und dann wird wunderbar detailliert erzählt, was Abraham und Sara alles kochen und backen und wie fürsorglich sie die fremden Männer bewirten. Am Ende des Besuches erfahren sie von ihnen, dass ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung gehen wird: sie werden ein Kind haben, nach Jahren des Wartens.

Diese kleine Geschichte macht deutlich, wie kostbar Gastfreundschaft ist. Sie hält Segen bereit. Wer gastfrei ist, gibt nicht nur, sondern empfängt auch: anregende Gedanken, gute Worte, freundschaftliche Gesten, Mut, Hoffnung und manchmal ein Versprechen. Als sei der Himmel selbst zu Gast. Kein Wunder, dass die Bibel an vielen Stellen zur Gastfreundschaft aufruft, etwa im Hebräerbrief:

Vergesst die Gastfreundschaft nicht,
denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt
. (Hebr. 13,2)

Was für ein schönes Bild: Du lädst einen Gast ein und empfängst einen Engel, einen Boten Gottes. Du hast Besuch und erlebst: Gott sitzt mit am Tisch in diesem Moment. Sein Geist ist spürbar; seine Liebe und Freundlichkeit.

Von Jesus wird erzählt, dass er ganz oft so bei Menschen zu Gast war und ihnen etwas von Gott brachte; vor allem denen, die sonst wenig Besuch bekamen. Der Zöllner Zachäus ist so einer. Eigentlich will er Jesus nur vom Baum aus sehen, aus sicherer Entfernung – da lädt der sich überraschend bei ihm ein: Zachäus, steig eilend herunter vom Baum, denn ich muss heute in deinem Haus einkehren. Und Zachäus stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden. (Luk 19, 5-6) So wird Zachäus unversehens zum Gastgeber und erlebt, wie ihn das erfüllt und verändert: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen und wenn ich jemanden betrogen habe, gebe ich es vierfach zurück. (V. 8)

Besuch empfangen, macht etwas mit dir: es erweitert den Horizont, berührt dein Herz und manchmal führt es dazu, dass du neu über dein Leben nachdenkst.

Vergesst die Gastfreundschaft nicht. Ich muss gestehen: Nicht immer habe ich Lust auf Gäste. Manchmal habe ich die Zeit nicht, die Kraft nicht, die Ruhe nicht. Auch ist nicht jeder Besuch eine Glückserfahrung. Manchmal fühle ich mich total unwohl und denke am Ende: Die lade ich nie wieder ein. Oder: da geh ich nie wieder hin. Von Engeln keine Spur.

Ja, so ist es und so darf es auch sein. Es kann nicht jede Begegnung zum Glücksfall werden. Und dennoch gilt: Vergesst die Gastfreundschaft nicht, denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.

Gastfreundschaft ist eine Haltung. Eine innere Einstellung, die im anderen, im Fremden etwas Gutes sieht, die darum offen und neugierig ist und bereit, sich berühren zu lassen. Das griechische Wort, das in unseren deutschen Bibeln mit „Gastfreundschaft“ wiedergegeben ist, heißt wörtlich übersetzt: Fremdenfreundschaft oder sogar Fremdenliebe. Vergesst die Fremdenliebe nicht. Das gibt dem Satz noch eine weitere Tiefe.

Jeder Mensch ist irgendwie fremd – selbst in der Familie und unter guten Freunden wundert man sich manchmal, wie fremd man sich sein oder werden kann. Aber manche, denen wir begegnen, sind noch viel fremder: sie sprechen eine andere Sprache, sie kommen aus einem anderen Milieu oder Land, sie flüchten sich zu uns und hoffen hier auf Gastfreundschaft. Mancher ist da eher vorsichtig: weiß man, wen man sich ins Haus lädt? Man hört und liest so viel und nicht alles klingt Vertrauen erweckend. Ja, stimmt. Die Bibel ermutigt dennoch zu einer Haltung der Offenheit und des Vertrauens:

Vergesst die Gastfreundschaft nicht, die Fremdenliebe. Denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt. Im Fremden kann uns etwas von Gott begegnen, etwas von Gottes Güte und Menschenliebe, auch von seiner Andersartigkeit und Fremdheit. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen, sagt Jesus in der Rede zum Weltgericht. Und als die Angesprochenen sich nicht erinnern können, wo sie Jesus gastfreundlich aufgenommen haben, sagt er ihnen: Was ihr einem meiner geringsten Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan. (Matth. 25, 40).

Vergesst die Gastfreundschaft nicht. Ich will diese Erinnerung mitnehmen in die neue Woche und mein Herz prüfen: Wie offen bin ich? Wie gastfrei? Wen will ich einmal einladen? Zeit mit ihm verbringen und mich einlassen auf seine Geschichte, sein Wesen und daraus lernen?

Letztlich bin ich selber immer Gast, Gast am großen Tisch des Lebens, der mir reichlich gedeckt ist. Mit Nahrung für Leib und Seele. Wie es Psalm 23 sagt: Du, Gott, bereitest mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbst mein Haupt mit Öl und schenkst mir den Becher voll ein. (Psalm 23, 5) Gastfreundschaft gehört zum Wesen Gottes. Daran darf ich großzügig teilhaben, davon kann ich weitergeben an andere. Amen.
(Pfarrerin Hanna Mausehund)