Kommt her zu mir

2. Sonntag nach Trinitatis 21.6.2020 – Folker Boehl

Eine Predigt zu Mt 11, 25-30

Zu der Zeit fing Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies Weisen und Klugen verborgen hast und hast es Unmündigen offenbart. Ja, Vater; denn so hat es dir wohlgefallen. Alles ist mir übergeben von meinem Vater, und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will. Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.

Mit diesen Worten preist Jesus Gott, seinen Vater. Er stellt seine und seines Vaters Beziehung zueinander vor. Und dann kommen die Worte, die für den Wochenspruch ausgesucht wurden. „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen sei; ich will euch erquicken.“ Wie sehr passt dieser Wochenspruch gerade in die heutige Zeit. Es wird keinen Menschen geben, der nicht in irgendeiner Form unter den letzten Wochen gelitten hat und dies vielleicht noch immer tut. Manches Leid findet im Verborgenen statt, fern jeglicher Berichterstattung in der Zeitung oder dem Fernsehen. Nehmt auf mein Joch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig. Aber es scheint doch nicht ganz so einfach zu sein: Nehmt auf mein Joch. Ein Joch: das fühlt sich schwer und drückend an, das verbinde ich sofort mit einem Ochsengespann, dass mühselig die schwere Last auf einem Karren ziehen muss unter lautem Rufen des Kutschers, der ab und an auch noch eine Peitsche knallen lässt. Auf der anderen Seite dient ein Joch aber auch dazu, dass die Zugtiere beieinander bleiben, eng und starr verbunden damit ihre geballte Kraft in die gleiche Richtung zieht. Jesus will nicht sein Joch abgeben, er lädt ein, es mit ihm zu teilen. Mit ihm verbunden zu sein und in die gleiche Richtung zu gehen.

Mühselig und beladen sein und dann noch ein Joch auf sich nehmen, das passt nicht zusammen. Wie gern möchte man sich von manch einem Joch befreien, um wieder aufrecht stehen und durchatmen zu können. Wie gern möchte man manchmal die Last auf den Schultern loswerden. Jesus bietet hier einen Tausch an. Er sagt: denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht. Ein Tausch: ein schweres Joch gegen ein leichtes. Ist schon ein Angebot. Kein Joch wäre noch besser. Jesus fordert dazu auf, nicht nur das sanfte Joch zu nehmen, sondern auch von ihm zu lernen. Und er beschreibt sich als sanftmütig und von Herzen demütig. Und warum wir das tun sollen fügt er noch an: so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Das hört sich gut an. Das scheint ein guter Weg zu sein, meiner Seele Ruhe zu verschaffen.

Und trotzdem bleibt der Gedanke: kein Joch wäre besser. Geht das überhaupt? Ganz befreit von allen Sorgen um Leib und Leben, immer genügend zu essen und zu trinken, keine Armut, keine Pandemie, keine Alltagsmasken, keine Kriege, keine Umweltkatastrophen und was sonst noch den Alltag und das Leben schwer machen. Das wären paradiesische Zustände. Doch diese Zeit ist lang vorbei. Seitdem es mit dem Leben im Paradies vorbei ist, muss sich der Mensch seinen Lebensunterhalt, sein Leben erarbeiten, ja, manchmal sogar erkämpfen.

Und dann kommt noch, wie aus heiterem Himmel eine Pandemie, verursacht durch winzig kleine Viren und zwingt die Welt in die Knie. Wohlstand ist noch nützlich, Armut verheerend. Bisherige Sicherheiten haben sich in Wohlgefallen aufgelöst. Die Konsequenzen sind nicht absehbar. Ganz viel gerät aus den Fugen, sozusagen als Begleiterscheinung oder aber unabhängig davon. Große Demonstrationen gegen Rassismus finden in den USA und auch hier statt. Denkmäler werden gestürzt. Die Arbeitslosenzahlen steigen enorm. Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der rumänischen Leiharbeiter stehen plötzlich im Fokus der Berichterstattung. Vorher hat man nur selten mal etwas darüber lesen oder hören können.

Mir geht es oft genug so, dass ich gar keine Zeitung mehr lesen, keine Nachrichten im Fernsehen mehr ansehen mag. Tür zu, Rollladen runter. Einfach alles aussperren. Am liebsten schlafen und wenn ich wieder aufwache, dann ist alles wieder erträglich, wenn nicht sogar schön. Vor diesen Umständen kann ich die Augen nicht verschließen, kann nicht so tun, als ginge mich das alles nichts an. Es belastet mich.Da macht mich dann doch das Angebot, dass Jesus uns unterbreitet, neugierig. Auch wenn er sagt: Nehmt auf mein Joch und lernt von mir. Geschenkt bekomme ich die Ruhe nicht. Ich muss schon etwas dafür tun.

Das Beste ist aber, dass Jesus von mir nicht erwartet, dass ich etwas studiere, auswendig lerne, mir diese Ruhe erarbeiten muss. Oder dass ich mir die Ruhe verdienen muss. Er sagt: Kommt her zu mir alle. Ob groß, ob klein, ob helle oder dunkle Haut, Frau oder Mann, Kind oder Jugendliche. Angesehen und wichtig oder nur ein kleines Rad im gesellschaftlichen Getriebe. Wenn wir sein Joch aufnehmen, dann lernen wir gleichzeitig von ihm und mit ihm. Und wenn ich an dieser Stelle wieder an das Ochsengespann denke, wie die Ochsen Schritt für Schritt vorwärts gehen, so denke ich an den Lernprozess. Schritt für Schritt, manchmal sehr mühselig und ermüdend, manchmal leicht. Jesus scheint es sogar sehr recht zu sein, dass Gott sich in den Unmündigen offenbart. In Menschen, die keinen hohen Bildungstand haben, die nicht jeden Stein umdrehen und alles wissenschaftlich erkunden möchten. Menschen, die immer zu allem etwas zu sagen haben. Er preist Gott dafür. Ist es, weil er, Jesus, es mit den Unmündigen leichter hat? Weil sie gutgläubig sind? Jesus selbst hat die Kinder als Vorbild benannt. So sollen wir glauben oder zu glauben lernen. Ist es dass, was Jesus uns lehren will? Ich glaube schon. Bedingungslos und voll Vertrauen an Gott glauben.

Und Jesus beschreibt in diesen Versen, wie ihm das gelingt: Alles ist mir übergeben von meinem Vater, und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will. Er beschreibt hier sein inniges Verhältnis zu Gott, seinem Vater. Sie sind eins, das wird in diesen Worten noch einmal ganz deutlich. Für uns ausschlaggebend sind die Worte: und wem es der Sohn offenbaren will. Jesus will uns mit hineinnehmen in diese Beziehung. Er bietet sich an als Vermittler. In diesen Worten findet sich auch der Grund, warum Jesus sanftmütig und von Herzen demütig ist. Er kann bei seinem Vater seine Last abgeben, neue Kraft tanken und befreit von der Last seines Alltags den Menschen wieder gegenübertreten. Jesus baut uns eine Brücke. So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Ich will euch erquicken. Mit Jesus zusammen über die Brücke gehen, durch das Joch mit ihm verbunden. Ich finde, dass ist eine wunderbare Vorstellung. Sich darauf einzulassen, ohne Wenn und Aber, ohne Vor- und Nachteile abzuwägen, das ist eine Aufgabe, der sich zu stellen lohnt. Schritt für Schritt, mal mühselig, mal ganz leicht. Derart die Hand gereicht zu bekommen ist ein ganz großes Geschenk. Gerade jetzt in dieser Zeit sich zu erinnern, dass da ein Gott ist, der in Jesus Christus zum Menschen geworden ist, kann sehr entlastend und kraftspendend sein.

Wenn ich als Mühseliger und Beladener vor Gott trete und ihm im Gebet mein Herz ausschütte, vielleicht sogar mit ihm hadere, kann ich doch darauf hoffe und vertrauen, dass meine Worte nicht verhallen. Wenn ich meine Seele ganz und gar gegenüber Gott geöffnet habe, dann kann schon eine große Last von mir abfallen. Auch wenn ich nicht sofort eine Antwort erhalte, auch wenn sich meine Lebenssituation nicht ändert, sollte ich es nicht unversucht lassen und es immer wieder neu versuchen. Die Pandemie, Kriege, Mord und Totschlag, Ungleichheit und Armut werden nicht von dieser Welt weichen. Aber vielleicht hat es ja ein winzig kleiner Virus geschafft, nicht nur für Leid und Tod zu sorgen, sondern für ein zartes erstes Umdenken. Was ist wichtig, was wird zukünftig wichtig sein. Wie ist es um den Zusammenhalt, das Miteinander in der Zukunft bestellt. Bleibt noch etwas übrig, von der Nachbarschaftshilfe.

Können wir uns aus den engen Grenzen lösen und nicht nur an unser eigenes Wohlbefinden denken sondern verstehen lernen, dass es nur miteinander geht und keiner allein überlebt in der globalisierten Welt. Miteinander am Tisch sitzen und Mahlzeit halten, so wie wir in der Lesung gehört haben. Eingeladen sind wir alle. Der Einladung folgen müssen wir schon selbst. Und ob wir absagen oder zusagen, liegt ganz an uns. Das Mahl wird auch ohne uns stattfinden. Es werden eben andere zu Tisch gebeten. Wie gut eine Tischgemeinschaft tut, kann wohl jeder bestätigen. Sich auszutauschen, miteinander zu lachen, auch ernste Gespräche und Diskussionen führen, aber auch seinen Kummer in vertrauter Umgebung in Worte fassen, dafür ist eine Tischgemeinschaft ein wunderbarer Ort. Wie gut, dass es jetzt zum Teil wieder möglich ist.

Leider aber müssen wir immer noch auf die Feier des Abendmahls verzichten. Doch wir können immer und jederzeit im Gebet vor Gott treten und uns entlasten und uns ermutigen und stärken lassen.

Folgen wir der Einladung: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.