Rut – gemeinsam durch die Krise gehen

Eine Predigt mit Rut 1,1-19a

Wo du hingehst, da will ich auch hingehen;

wo du bleibst, da bleibe ich auch.

Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.

 

Ich stehe in einer festlich geschmückten Kirche

hinter mir der Traualtar, vor mir zwei Menschen, die sich verliebt anschauen.

Sie reichen sich die Hände und tauschen die Ringe.

Wir feiern ihre Liebe und sprechen von Treue, vom Bund der Ehe lebenslang

und sie haben sich Rut 1, Vers 16 als Trauspruch ausgesucht:

Wo du hingehst, da will ich auch hingehen;

wo du bleibst, da bleibe ich auch.

Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.

 

Wer auf Hochzeiten predigt, stand auch schon mit diesem Satz auf der Kanzel,

hat im Vorfeld innerlich mit sich und dem Bibeltext gerungen. Wie mache ich das?

Das mit dem HINGEHEN und BLEIBEN ist so ein schöner Treueschwur. Klar!

Und das mit dem VOLK und dem GOTT passt zu den Geschichten der Paare

manchmal auch ganz wunderbar.

Unterschiedliche Herkunft und Glaubensweisen

sind heute bei vielen Paaren ja nichts grundsätzlich Trennendes mehr

und trotzdem spielt es eine wichtige Rolle,

wenn zwei Menschen ganz verschiedene Prägungen mitbringen

und sich dann für einen gemeinsamen Weg entscheiden.

Dann erzählen sie mir im Vorfeld davon,

wie sie es persönlich erlebt haben und wie sie mittlerweile damit umgehen,

aus so verschiedenen Familien zu stammen, unterschiedliche Dialekte und Muttersprachen,

Essgewohnheiten, Musikgeschmäcker, Kulturen, Konfessionen, evangelisch, katholisch, ohne Konfession, andere Religion …

«Wo die Liebe hinfällt», sagen sie dann manchmal:

Wo du hingehst, da will ich auch hingehen;

wo du bleibst, da bleibe ich auch.

 

Als Prediger habe ich den Zusammenhang dieser Verse im Hinterkopf

und muss dann immer entscheiden, ob und wie ich darauf komme,

dass zwei Frauen sich so aneinander binden, die keine Liebesbeziehung hatten.

Heute kann ich den Kontext jedenfalls nicht verschweigen.

Rut sagt die Sätze zu Noomi – beide sind Witwen – Noomis Mann und ihre Söhne sind gestorben.

Sie kann ihren Schwiegertöchtern – neben Rut auch der zweiten: Orpa – keine Perspektive bieten.

Da ist niemand mehr in ihrer Familie, der helfen könnte.

Noomi will in ihr Dorf Bethlehem zurück und weiß, dass Frauen aus dem Nachbarland wie Orpa und Rut dort Ausgrenzung erleben werden.

Also gibt sie die beiden ganz frei: Geht zurück zu euren Müttern!

Gott sei euch barmherzig, wie ihr unseren Toten und mir barmherzig gewesen seid.

Der HERR gebe euch, dass ihr Frieden findet und eine neue Chance, glücklich zu werden.

Und sie gibt den beiden einen Abschiedskuss.

Die Frauen liegen sich weinend in den Armen.

Nach einer zweiten Aufforderung Noomis macht Orpa sich endlich auf den Weg,

Rut aber bleibt und macht mit ihren Worten klar,

dass sie sich festgelegt hat zu bleiben:

Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden.

Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.

 

Ich habe schon lange nicht mehr in einer festlich geschmückten Kirche gestanden.

Gerade sitze ich an meinem Schreibtisch.

Hinter mir eine weiße Wand und vor mir zwei Bildschirme, auf denen ich jeden Tag lese,

wie viele Menschen sich gerne wieder die Hand reichen würden …

wie viele Menschen krank sind und dabei einsam …

wie viele die Einsamkeit krank macht …

wie viele mit dem Tod ringen, wie viele sterben …

wie viele leben und auf unterschiedlichste Art leiden unter der Situation.

Hier lese ich in der Bibel von einer Hungersnot im Land Juda

und von diesen Frauen, die eine ganze Reihe von Schicksalsschlägen ereilt …

… sie gehen gemeinsam durch die Krise.

Wo du hingehst, da will ich auch hingehen.

Wo du bleibst, da bleibe ich auch.

Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.

Juda und Moab – zwischen beiden Landschaften das Tote Meer, eine alte Feindschaft verbindet ihre Völker.

Manche meinten, Moabiter könnten sich gar nicht dem Gott der Juden zuwenden.

Und trotzdem widerspricht Noomi ihrer Schwiegertochter nicht – im Gegenteil:

das ganze Buch Rut erzählt von der Überwindung der national-religiösen Grenzen.

Die Moabiterin Rut geht mit ihrer Schwiegermutter nach Bethlehem

und wird in den Stammbaum König Davids hineinerzählt.

Das ist der Punkt, so endet das Büchlein im 4. Kapitel.

Rut bringt einen Sohn zur Welt und die Nachbarinnen sagen,

als Noomi auf ihren Enkel aufpasst:

Deine Schwiegertochter, die dich geliebt hat, hat ihn geboren …

… und sie nannten ihn Obed. Der ist der Vater Isais, welche Davids Vater ist.

Und so wird in Ruts Geschichte deutlich: der Gott der Mütter und Väter Israels

ist der Herr der ganzen Welt und aller Völker. Alle haben Zugang zu ihm.

Noomis und Ruts Gott, ist der Gott aller Menschen,

auch wenn wir uns so gerne Grüppchen suchen

und uns in Nationalitäten einsortieren und Grenzen ziehen,

um zu definieren, wer drin ist und wer draußen,

wer dazu gehört und wer eine Fremde bleibt. Gott ist da anders.

Der Gott, den man damals schon in Bethlehem kannte

und den Jesus Christus später auch «Vater im Himmel» nennt, ist der Vater aller Menschen.

Und er wird nicht müde, seinen Kindern Boten und Zeichen zu senden

und Geschichten, damit sie das zu jeder Zeit begreifen.

Und so ist das Buch Rut letztlich doch eine Liebesgeschichte.

Die Geschichte einer Kraft, die alle Menschen verbindet,

einer großen Kraft, die überall und in jedem Menschen wirken kann

und sich niemals von unseren Grenzen abhalten lässt.

Diese Liebe entspringt bei Gott und fließt von einer Person zur nächsten.

Daran denke ich heute und davon werde ich sehr wahrscheinlich

auch irgendwann wieder einer Hochzeitsgesellschaft erzählen.

Amen.