The hill we climb – Von Worten die Hoffnung sind

Ich habe letzten Mittwoch Worte gehört, die eine solche Zuversicht und Gewissheit ausgestrahlt haben, dass sie mich automatisch angesteckt haben.
Es waren Worte adressiert an den Mr. President, Dr. Biden, Madam Vice President, Mr. Emhoff und die Bürger Amerikas und der ganzen Welt.
Und sie wurden geschrieben und vorgetragen von der 22-jährigen Poetin Amanda Gorman.
Sie beginnt:

„When day comes we ask ourselves,
Wenn der Tag kommt, fragen wir uns,
wo finden wir Licht in diesem endlosen Schatten?
Die Verluste, die wir tragen,
ein Meer, dass wir durchwarten müssen
Wir waren im Bauch des Ungeheuers.
Wir haben gelernt, dass Stille nicht unbedingt Friede ist.
Und die Regeln und Wahrnehmungen
von dem was da ist,
das muss nicht Gerechtigkeit sein.
Und doch ist der Morgen unser
bevor wir’s bemerken.“

„The hill we climb“ heißt das Gedicht,
den Berg, den wir erklimmen.
Und sie erzählt darin von Licht und Schatten, von der Morgendämmerung
– von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
In ihren Worten verbinden sich ihre eigenen Erfahrungen mit der großen Sinnstiftenden Erzählung, den Narrativen Amerikas. So erzählt sie die Geschichte des großen Amerikanischen Traums, in dem ein „mageres, schwarzes Mädchen, das von Sklaven abstammt  und von einer alleinerziehenden Mutter großgezogen wurde,
davon träumen kann, Präsidentin zu werden,
nur um sich selbst in einer Situation wiederzufinden, in der sie für einen vorträgt.“

Doch sie erinnert auch an den Traum Martin Luther Kings „ein Land zu bilden, das sich allen Kulturen, Farben, Charakteren und menschlichen Lebensverhältnissen verpflichtet fühlt.“
Ihre Worte sind prophetisch – im Wissen um die Vergangenheit und die Probleme der Gegenwart wirft sie den Blick in die Zukunft:
„Und so heben wir unseren Blick, nicht auf das, was zwischen uns steht,
sondern auf das, was uns bevorsteht.
Wir schließen die Kluft, weil wir wissen, damit die Zukunft zuerst kommt,
müssen wir erst beiseite tun, was uns trennt.
Wir legen Waffen nieder,
damit wir unsere Arme
nacheinander ausstrecken können.“

Amanda Gormans Gedicht hat mich beeindruckt.
Natürlich Form des Vortragens, die feierliche festliche Stimmung.
Ich hatte das Gefühl, dass ihre Worte nicht nur Hoffnung machen,
sondern Hoffnung sind.
Ich glaube, es gibt solche Worte, Geschichten,
die einen mithineinnehmen können in eine Gewissheit,
die man so vielleicht selbst gerade nicht so spüren kann.

Ein solcher Text ist für mich auch der heutige Predigttext.
Er steht im Neuen Testament im 2. Petrusbrief.

Wir haben euch ja angekündigt,
dass unser Herr Jesus Christus
machtvoll wiederkommen wird.
Wir haben uns nicht
auf ausgeklügelte, erfundene Geschichten gestützt.
Sondern wir haben mit eigenen Augen
seine wahre Größe gesehen.
Von Gott, dem Vater,
empfing er seine Ehre und Herrlichkeit –
aus der majestätischen Herrlichkeit Gottes
kam eine Stimme zu ihm, die sagte:
»Das ist mein geliebter Sohn,
an ihm habe ich Freude.«
Diese Stimme haben wir selbst gehört.
Sie kam vom Himmel her,
als wir mit Jesus auf dem heiligen Berg waren.
So gewinnen die prophetischen Worte
für uns noch an Zuverlässigkeit.
Und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet.
Denn diese Worte sind wie ein Licht,
das an einem finsteren Ort brennt –
bis der Tag anbricht und der Morgenstern in eurem Herzen aufgeht.

Der Verfasser des 2. Petrusbriefes spricht mit gewaltigen Worten eines Gedichts.
Malt Bilder von Licht und Schatten, von der anbrechenden Morgendämmerung, von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Er greift ebenfalls auf Erzählungen zurück, auf ein Narrativ.
Er erinnert seine Leser an das, was sie trägt. Ihre Identität als Christen.
Erfahrungen mit Jesus Christus, die ihren Glauben bis heute bestimmen
und den Blick weitet für das, was noch aussteht.
Vergewissernd schreibt er an christliche Gemeinden.
Mehr als 80 Jahre nach dem Tod Jesu.
Sie sind verunsichert, ob das, was sie glauben, wirklich wahr ist.
Oder ob es nicht doch nur Lügengeschichten sind,
so wie es die sagen, die sich über sie lustig machen?

Die Antwort ist ein Erlebnis, eine Geschichte.
Von einem Berg, auf den Jesus mit seinen engsten Vertrauten gestiegen ist.
Immer weiter hinauf, bis die Umgebung karger wurde.
Das Blöcken und Mähen der Ziegen am Fuße des Berges langsam verstummte.
Oben angelangt Stille und ein weiter Blick.
Und dann auf einmal diese Stimme aus dem Himmel:
„»Das ist mein geliebter Sohn,
an ihm habe ich Freude.«
Und Jesus stahlt ganz hell.
Für einen Moment ist alles ganz klar. Ganz deutlich.
Wer er ist, für sie, für die Welt.
Gottes Sohn.
Der Freudenbringer.
Lichtmacher mit seiner Liebe, die wärmt und strahlt.
Ganz klar.

Der Verfasser erzählt diese Geschichte so, als wäre er selbst dabei gewesen.
Zeitlich gesehen wissen wir, dass das nicht sein kann.
Also doch nur Fake News?
Ich finde nicht, denn ich kenne solche Geschichten.
Geschichten, die man so oft gehört hat,
dass sie zu der eigenen Biografie dazu gehören.
Der Verfasser macht sich die Glaubenserfahrung ihm Vorangegangener zu eigen,
weil sie seinen Glauben geprägt und gestärkt hat.
Er macht sich selbst zum Zeugen und sagt: Das ist wirklich geschehen.

Ich habe gerade in der letzten Woche gemerkt, dass ich solche Hoffnungsworte und Glaubensgeschichten brauche.
Geschichten, die mich hineinnehmen in die große Geschichte Gottes mit uns.
Psalmworte und biblische Geschichten.
Glaubenserfahrungen, an die ich mich festhalten kann,
wenn ich selbst keine zu erzählen habe.

Geschichten von Menschen in meiner Umgebung, die Mut machen.
Ein Licht im Fenster für die Verstorbenen der Pandemie, das sagt:
Ich fühle mit dir! Deine Trauer ist auch meine Trauer.
Erinnerungen an Erzählungen meines Großvaters, wie ihm sein Glaube im Krieg Hoffnung gegeben hat.

Worte, die sagen: Da, wo es dunkel ist, kann es hell werden. Die Hoffnung ist da. Und die Zuversicht, dass Gott bei uns ist. Sein Licht scheint – wärmend und liebend.
Diese Worte sind wie ein Licht,
das an einem finsteren Ort brennt –
bis der Tag anbricht
und der Morgenstern in eurem Herzen aufgeht.

Oder mit den abschließenden Worten aus Amanda Gormans Gedicht:
Wenn der Tag kommt, treten wir aus dem Schatten,
entflammt und ohne Furcht.
Die Morgendämmerung blüht, wenn wir sie freilassen.
Denn da war immer Licht,
wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen,
wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein.