Von Balkon zu Balkon

Wann haben Sie zuletzt gesungen? Allein oder gemeinsam mit anderen?

Von Balkon zu Balkon oder Gartenzaun zu Gartenzaun? Anders geht es ja im Augenblick nicht.

Ich finde, Singen tut gut! Singen befreit und verbindet. Wer im Chor singt, kann das besonders gut nachempfinden und leidet darum gerade sehr, weil Chorproben und Konzerte bis auf weiteres nicht gehen. Doch in den letzten Wochen haben mir Leute auch immer wieder erzählt, wie sie am Abend mit Nachbarn zusammen doch gesungen haben: „Der Mond ist aufgegangen“ oder das Steigerlied. Einfach so. Von Balkon zu Balkon, von Fenster zu Fenster. Das hat sie über den Zaun verbunden, manchmal auch mit bisher ganz fremden Nachbarn, und das in Zeiten, wo Abstandsregelungen und Kontaktverbot den Alltag bestimmen.

Morgenlicht leuchtet, rein wie am Anfang.

Frühlied der Amsel, Schöpferlob klingt.

Dank für die Lieder, Dank für den Morgen.

Dank für das Wort, dem beides entspringt.

(Evangelisches Gesangbuch, Nr. 455, Strophe 1)

Singen kann Grenzen überwinden. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und Türen öffnen. Und dabei spielt es keine Rolle, ob man alle Töne genau trifft.

Singen hat auch etwas Heilendes. Wie oft habe ich meinen Kindern etwas vorgesungen, als sie noch klein waren, abends vor dem Schlafengehen oder wenn sie sich wehgetan hatten. Auf dem Schoß gewiegt werden und etwas gesungen bekommen, das ist Geborgenheit pur. Wenn ich an einem Sterbebett sitze, singe ich meist auch. Einen Choral oder ein Abendlied und dann spüre ich förmlich, wie sich ein Friede ausbreitet, über den Sterbenden und auch über mich. Gottes Friede, der höher ist als unser Begreifen und alle Vernunft.

Unser Glaube lebt vom Singen. Kein Gottesdienst ohne Musik, ohne Lieder. Denn Musik geht unter die Haut. Sie berührt uns ganz tief. Sie bringt uns zum Weinen und zum Tanzen.

Der Sonntag am 10. Mai hat den Namen Kantate. Das heißt: Singt! Singt ein Lied für Gott. Und von Gott. Lobt ihn! Tut es aus vollem Herzen. Mit allem, was ihr habt.

 

In Psalm 98 steht:

Singt dem Herrn ein neues Lied

denn er tut Wunder ...

Jauchzt dem Herrn, alle Welt,

singt, rühmt und lobt!

Tut es mit Harfen und mit Saitenspiel.

Mit Trompeten und Posaunen

jauchzt vor dem Herrn, dem König.

(Psalm 98, Verse 1-6)

 

Das gefällt mir gut an dem Psalm. Gott loben mit allem, was uns zur Verfügung steht: mit Instrumenten, mit unserer Stimme, ja, mit unserem ganzen Leben: mit einem Lächeln, einem Anruf, der ernstgemeinten Frage: Hei, wie geht es dir. Mit praktischer Hilfe oder mit einem Gebet. Gott loben kann so vieles sein.

Und wenn mir mal nicht nach Singen und Loben zumute ist, wenn mir die Töne im Hals stecken bleiben, weil gerade vieles schwer ist, so kann es ein Trost sein zu wissen: andere singen aber doch. Und sie tun es auch für mich. Sie singen und beten und loben Gott von Balkon zu Balkon über Zäune hinweg. Und ich kann es hören.

Sanft fallen Tropfen, sonnendurchleuchtet.

So lag auf erstem Gras erster Tau.

Dank für die Spuren Gottes im Garten,

grünende Frische, vollkommnes Blau.

(Evangelisches Gesangbuch, Nr. 455, Strophe 2)

 

 

Segensgebet

Ich danke dir, Gott, dass ich nicht allein bin auf dem Weg durch den Tag.

Du hast mir Menschen gegeben, die mich begleiten, mich verstehen, mich lieben.

Ich bitte dich für meine Familie, für meine Freunde:

Sei du mit ihnen. Sei du mit uns.

Segne unser gemeinsames Leben.

Hilf uns teilen, was du uns schenkst und tragen, was uns zu tragen zugemutet ist.

Gib uns Geduld und Vertrauen.

Amen.

Pfarrerin Hanna Mausehund

veröffentlicht auch als Telefonandacht

0201 85 11 241