Wende ins Leben

„Sie wandte sich um“ heißt es zweimal
in der Ostergeschichte der Maria von Magdala,
wie sie im Johannes-Evangelium im 20. Kap. erzählt wird.
Ostern läutet eine Wende ein.
Die Wende vom Tod zum Leben.

Vor meinem inneren Auge sehe ich sie da stehen, Maria,
am Grab, allein, weinend, verloren.
Fast scheint sie hineinzustürzen in das Loch des Todes.
Es fehlt nicht viel.
Der Tod hat einen eigenen Sog.
Manch einer, der einen nahen Menschen verloren hat und verzweifelt trauert,
weiß um den Sog alles fahren zu lassen und hinterher zu sterben.

Manch eine, die sich gescheitert sieht im Beruf oder in der Liebe,
in der Familie, in den Träumen und Plänen von früher,
kennt die Versuchung, alles hinzuwerfen und sich aufzugeben.

Maria ist das nicht fremd.
Die Bibel erzählt, dass Jesus sie von „sieben bösen Geistern“ geheilt hat.
Sie hatte offenbar eine psychische oder psychosomatische Erkrankung.
Solche Krankheiten belasten. Sie beschneiden das Leben,
für den Betreffenden und auch für sein Umfeld.
Oft jahrelang.
In der Begegnung mit Jesus erfuhr Maria wunderbare Heilung.
Und ihr Leben erfuhr eine erste wunderbare Wendung.
Sie blieb in Jesu Nähe, verfolgte mit brennendem Herzen,
was er sagte und tat und ging auch den letzten Weg mit.
Sie ist eine der Frauen, die Jesu Kreuzigung mit ansehen.
Die da bleiben und aushalten und nicht flüchten.

Ich versuche mir vorzustellen, was alles in ihr zerbricht dort auf Golgatha.
Hoffnung, Lebensmut, Freude, Leichtigkeit – alles dahin.
Stattdessen ein zerrissenes, wundes Herz.

Dieses Herz treibt sie zum Grab am Tag nach der Sabbatruhe.
Zum Glück treibt es sie hierher.
An den Ort der Toten.
Maria will noch etwas tun, will den Leichnam salben: ein letzter Liebesdienst.
Das braucht sie jetzt; so wie wir es brauchen, etwas zu tun, wenn wir trauern.

Doch da ist nur ein schwarzes Loch. Ein Grab ohne Leichnam.
Zum Wahnsinnigwerden, denke ich mir.
Was jetzt?
Da helfen keine Engel in hellen Gewändern. Keine erklärenden Worte.
Da bricht alles auseinander und der Boden schwankt.

„Maria!“ sagt er, der Auferstandene, mehr nicht. Keine Erklärung. Keine Belehrung.
Ihr Name reicht aus zum neuen Leben.
„Maria!“
Eine Zärtlichkeit liegt in dieser Anrede,
eine Vertrautheit und Nähe, die etwas bewirkt.
„Und Maria wandte sich um.“
Sie wendet ihr Gesicht weg vom Grab hin zu der Stimme, die zu ihr spricht.
Sie löst sich aus der Starre, aus dem Starren ins Bodenlose und schaut nach oben.
Da fällt sein Licht auf sie.
Und sie erkennt ihn: Rabbuni, mein Meister, sagt sie –
so hat sie ihn immer genannt.

Ein erster Impuls zurück ins Leben.
Ihr Name rettet sie aus dem Tod. Das Angesprochenwerden löst die Starre.
Maria! So hat er sie immer genannt. Im Namen liegt ihr ganze Identität und Geschichte. Und er weiß darum. Auch jetzt.

Der Name bleibt, das Angesprochenwerden bleibt über den Tod hinaus.
Auch wenn sonst alles vergeht:
Halte mich nicht fest, sagt der Auferstandene.
Es gibt kein Zurück; was vergangen ist, kehrt nicht wieder.
Aber es gibt ein Voraus. „Maria!“

Noch kniet sie am Grab. Aber die Wendung wird schon sichtbar.
Rosen erblühen; die Nacht schwindet. Ein neuer Tag bricht an.

Nicht mehr lang, und sie wird aufbrechen vom Grab, wird aufstehen ins Leben.
Um zu erzählen, was ihr geschehen, wen sie gesehen und was er gesagt hat.

Ostern – Wendung zum Leben, auch für mich,
denn die Stimme des Auferstandenen gilt auch mir:

„Fürchte dich nicht! Ich erlöse dich.
Ich rufe dich bei deinem Namen. Du bist mein.“

Pfarrerin Hanna Mausehund