Im September ist Jule Barthel aus Steele für ein Jahr nach Kumasi in Ghana umgezogen. Sie absolviert dort einen Freiwilligendienst – „weltwärts“ heißt das staatlich geförderte Programm. Die Organisation Voltuna hat sie auf die Stelle in der „Schulassistenz“ vermittelt. Unsere Stiftung fördert den Freiwilligendienst und Jule schreibt uns alle paar Wochen von ihren Erfahrungen. Hier veröffentlichen wir mit ihrer Zustimmung Auszüge aus ihrer E-Mail mit dem Betreff: „Ghana Part 2“ vom 5.11.2021.
Die ersten Partys. Die ersten Sporteinheiten. Viele neue Bekanntschaften. Die erste Krankheit. Der erste Trip. Die erste Beerdigung. Der erste Urlaub. Die erste Hochzeit und noch viel viel mehr …
Doch alles der Reihe nach. In diesem Monat ist so viel passiert, dass ich nur durch die gemachten Fotos einen groben Überblick behalten kann, was wann passiert ist. Die Arbeit ist zwar zum Alltag, aber deswegen keinesfalls leichter geworden. Ich habe immer noch Schwierigkeiten mich an einfache Dinge wie die Lautstärke in den Klassen oder auf dem Pausenhof zu gewöhnen. Oft verlasse ich die Schule erschöpft und mit Kopfschmerzen, dennoch aber glücklich, da die Kinder mir mit ihrer stehts fröhlichen Art ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Die Kinder in meiner Vorschulklasse begrüßen mich morgens fröhlich, wenn ich den Klassenraum betrete. Zu meiner Aufgabe hat sich entwickelt, morgens mit den Kindern den Unterricht zu beginnen und mit ihnen die Zahlen und das Alphabet zu wiederholen. Im Laufe der Zeit habe ich die Namen der Kinder gelernt und sie soweit beobachtet, dass ich weiß, welches Kind wo Schwächen aufweist.
Neben der Arbeit darf das Vergnügen aber auch nicht zu kurz kommen.
Unter der Woche ist bei allen die Energie raus. Nach der Arbeit muss ja schließlich auch noch eingekauft, gekocht und geputzt werden, was unter afrikanischen Bedingungen eben seine Zeit kostet. Umso schöner ist es am Wochenende auch mal Zeit für was Schönes oder Erholsames zu haben. Wir haben vor ein paar Wochen andere Freiwillige aus u.a. Österreich aber primär Deutschland getroffen. Mittlerweile haben wir eine WhatsApp-Gruppe, die ausschließlich aus Freiwilligen in Kumasi und Accra besteht und 30 Teilnehmer aufweist. Kennengelernt habe ich bisher nur 6 davon, aber auch die anderen werden in Zukunft bei dem ein oder andern Abend oder Trip dabei sein. Es ist schön, auf andere Freiwillige zu treffen aus verschiedenen Gründen. Auf der einen Seite ist es interessant, Erfahrungen auszutauschen und einfach über den Freiwilligendienst und die Einsatzstelle zu quatschen. Auf der anderen Seite ist es schön, überhaupt neue Freunde zu finden. Es ist etwas schwer, sich hier mit Einheimischen anzufreunden. Was nicht daran liegt, dass kein intensiver Kontakt zu Stande kommt, sondern dass die meisten nicht an uns als Menschen interessiert sind, sondern mehr an unserer Hautfarbe. Auffallen tut das dadurch, dass sie anfangen Fotos oder Videos von uns zu machen, direkt Nummern austauschen wollen oder von uns in die Heimat mitgenommen werden wollen, wenn eine Hochzeit mit uns schon nicht möglich ist.
Tagestrip
Als wenigstens der überwiegende Teil von uns gesund war haben wir uns dazu entschieden eine Tagestrip zu machen, um ein bisschen die Umgebung Kumasis zu erkunden. Unser Ziel war der Bosumtwi See, welche eine Stunde entfernt liegt. Dort angekommen haben wir eine Bootstour über den perfekt rundgeformten See gemacht mit einer einstündigen Wanderung im Anschluss. Aufgrund der Bakterien innerhalb des Sees wird es Touristen von abgeraten im See schwimmen zu gehen, weshalb wir dies lieber unterließen auch wenn das Wetter und die Stimmung sehr dazu einlud. Es war ein sehr schöner Tag der ohne Komplikationen verlief.
Beerdigung
Am Wochenende darauf stand auch schon wieder der nächste Programmpunkt an. In der Schule, in der wir eingesetzt sind, ist der Vater einer Lehrerin verstorben, zu dessen Beerdigung wir eingeladen wurden. Dazu muss gesagt werden, hier sind Beerdigungen grundsätzlich anders. Die Gäste müssen nicht nur Familie und Freunde des Verstorbenen sein, sondern können auch einfach so Bekannte sein, die von anderen Gästen eingeladen wurden so wie in unserem Fall. Außerdem ist eine Beerdigung hier keine Veranstaltung, die viel von Trauer geprägt ist. Eher im Gegenteil: man trifft sich um das Leben des Toten zu feiern und dementsprechend passt man auch die Zeremonie an. Die Beerdigung, auf die wir gegangen sind, war eine sehr ruhige, bei der wir primär gesessen haben und Musik lief. Wie uns später erklärt wurde läuft das aber nicht immer so ab. In diesem Fall war der Verstorbene ein alter Mann, weshalb die Beerdigung dementsprechend gelassen verlief. Während unseres Urlaubs, auf den ich gleich zu sprechen komme, sind wir auch auf eine Beerdigung gestoßen, die so ziemlich das Gegenteil zu der Beerdigung war, die wir als erstes besucht hatten. Ein Einheimischer erklärte uns, dass der Tote ein jüngerer Mensch gewesen ist der gerne gefeiert hätte, weshalb seine Beerdigung als eine dreitägige Feier zelebriert wurde.
Urlaub
Die Vier von uns die in der Schule arbeiten, haben ab Mittwoch frei gehabt und die anderen beiden aus dem Krankenhaus haben sich einfach Donnerstag und Freitag freigenommen. Am Mittwoch gings dann also nach der Arbeit los zur Busstation, von wo aus wir einen Bus an die Küste nach Cape Coast genommen haben. (…) Zum Frühstück gibt es hier immer Toast mit Omelett. Keine schlechte Wahl, jedoch auch nicht die ausgewogenste. Am Mittag haben wir uns dazu entschieden zum Cape Coast Castle zu fahren und dort eine Tour zu machen.
Das Castle wurde früher von den Briten verwendet um Sklaven in die ganze Welt zu verschiffen.
(…) Die Keller-Einrichtungen für die männlichen Sklaven umfassten vier miteinander verbundene Räume, in denen jeweils bis zu 300 Sklaven untergebracht worden waren. Auf engstem Raum, mit kaum Licht und Sauerstoff. Wer ungehorsam war, wurde in einen Raum gesteckt, ohne Fenster, welcher durch einen Gang mit drei Türen zu erreichen ist, so dass dort völlige Dunkelheit herrschte. Dort wurden sie sich selbst bis zum Tod überlassen. Auch Frauen wurden von der Burg aus versklavt. Von ihnen jedoch deutlich weniger, etwa nur die Hälfte von der Anzahl der Männer. Sie hatten ihren eigenen Keller, welcher keinesfalls größer war. Das erschreckendste, fand ich, war die Systematik und Brutalität dahinter. Zum Beispiel der Tunnel, welcher vom Keller der männlichen Sklaven direkt zum „gate of no return“ geführt hatte, um den Abtransport der Sklaven zu vereinfachen. Oder auch die kleine Kammer in der Ecke der männlichen Keller, wo die kranken oder zu schwachen Sklaven hingebracht wurden, um zu sterben.
Auch dass eine Kirche und eine Schule errichtet wurde um die Kinder, welche aus Vergewaltigungen der weiblichen Sklaven heraus gezeugt wurden, unterrichten und taufen zu können. Sie sollten die Elite bilden, wurde uns erklärt. Direkt neben dem Eingang zur Schule wurde ein Schacht gebaut, durch den man in den Keller der männlichen Sklaven schauen konnte. Die Kinder sollten dadurch die „richtigen“ Wertevorstellungen vermittelt bekommen. Das absurdeste an dieser Burg fand ich jedoch den wunderschönen Ausblick aus den Schlafzimmern der Gouverneure heraus. Die Zimmer waren wunderschön gemacht mit Holzboden, netten Farben und vielen Fenstern in alle Richtungen. Es schien so perfekt, wenn man in dem Zimmer stand, wurde jedoch ziemlich schnell ekelerregend, wenn man sich in den Kopf zurück ruft, dass drei Stockwerke unter einem gerade 1000 Menschen um ihr Leben rangen.
Am Tag darauf ging es für uns in den Kakuum Nationalpark. Dort angekommen haben wir uns für die Wanderung und den Baumwipfelpfad entschieden. Beides war eine sehr gute Entscheidung und atemberaubend schön. Der Baumwipfelpfad bot uns den Blick über den Regenwald und zeigte deren Vielzahl an Bäumen auf. Die Wanderung, welche von einer Rangerin geführt wurde, zielte darauf ab den Regenwald und dessen verschiedene Bäume besser kennenzulernen. Auch das war äußerst Interessant, nur die ganzen Insekten waren hier bereits etwas abschreckend.
Hochzeit
Mich überraschte, dass sich das frisch verheiratete Paar nicht geküsst hat wie für uns üblich, sondern lediglich in den Arm genommen hat wie gute Freunde. Ich habe daraufhin einen Bekannten aus dem Urlaub gefragt, welcher meinte, dass es hier nicht so üblich ist, Liebe öffentlich zu zeigen, was erklärte, warum ich noch nie ein Paar Händchen halten gesehen habe. (…) Alles in allem war die Hochzeit wirklich interessant. Abgesehen davon, dass ich die Reden alle nicht verstehen konnte, war auch der Ablauf an sich ein ganz anderer ebenso wie die Atmosphäre. (…) Zum Frühstück am nächsten Morgen stand Reis auf dem Plan, was auch sonst. Damit es halbwegs erträglich für unsere noch deutschen Mägen wird, haben wir uns noch etwas Brot gekauft, was wir dann zusammen mit dem Reis und Stew gegessen haben. Nach dem Frühstück ging es für uns in die Kirche, worauf wir alle schon gespannt waren. Und unsere Erwartungen wurden erfüllt. Abgesehen von den Reden, die wir auch hier aufgrund der Sprachbarriere wieder nicht verstehen konnten, wurde viel gesungen und getanzt. Die Stimmung war einfach atemberaubend.