Ein Herz und eine Seele vs. black lives matter

Eine Predigt mit Apostelgeschichte 4,32-37

 

Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele;

auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären,

sondern es war ihnen alles gemeinsam.

 

Es ist vielfach bezweifelt worden, ob die erste Gemeinde jemals so war

oder – vorsichtiger formuliert – ob dieser Zustand mehr als 14 Tage gehalten hat

nach jenem denkwürdigen Pfingstfest in Jerusalem.

Ich bin ganz ehrlich. Ich kann es mir kaum vorstellen.

Es klingt utopisch und naja,

in einer kleinen Gemeinde mag das vielleicht noch funktionieren.

Solange jeder jeden kennt und es für die Apostel noch überschaubar bleibt.

Dann könnte es vielleicht doch gehen, dass man alles teilt

und dadurch niemand Mangel leiden muss.

Aber es heißt ja schon in der Erzählung von Pfingsten.

… an diesem Tag wurden hinzugefügt etwa 3000 Menschen.

… sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern,

… der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.

Es war also vielleicht doch keine leicht überschaubare Gruppe mehr.

Und die Apostelgeschichte besteht in ihrer Schilderung darauf,

dass es diese glückliche Anfangszeit gegeben hat.

Seither steht sie jeder christlichen Gemeinde vorbildhaft vor Augen.

Ein Herz und eine Seele.

Ein Gemeinschaftskonto.

(Ich will jetzt nicht anfangen, das mit unserer heutigen Gemeindestruktur und Kirchenverfassung zu vergleichen.

Wobei mir das in dieser Woche tatsächlich etwas schwer fällt, nachdem in der Presbyteriumssitzung am vergangenen Montag

unter anderem der Haushaltsplan für 2020 und weitere finanzielle Fragen auf der Tagesordnung standen.

Ja, wir leben in einer ganz anderen Zeit und in einem Land,

in dem manche Gemeinden immer noch von jahrhundertelang gebildetem Vermögen zehren können

und die staatlichen Finanzbehörden Kirchensteuern für uns einziehen.)

 

Ich denke beim Lesen dieser Bibelstelle gar nicht so sehr an Finanzen,

sondern vielmehr an das «ein Herz und eine Seele» sein.

Eine Gemeinschaft, in der keine Unterschiede gemacht werden;

eine Gruppe von Menschen, in der wirkliche jede und jeder gleiches Recht genießt,

gleichen Respekt erhält, gleichberechtigt neben all den anderen leben kann,

das war diese erste Christengemeinde.

Das andere ist doch nur eine logische Folge daraus.

Die Solidarität, die dazu führt, dass alle genug haben ist nicht der Anfang, sondern eine Folge aus der tiefen Überzeugung,

dass alle gleich sind. In der Gemeinschaft durch Jesus Christus und seinen Heiligen Geist, ist kein Platz mehr für alte Unterscheidungen.

Und mit großer Kraft bezeugten die Apostel die Auferstehung des Herrn Jesus, und große Gnade war bei ihnen allen.

Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte;

denn wer von ihnen Land oder Häuser hatte, verkaufte sie und brachte das Geld (…)

und legte es den Aposteln zu Füßen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte.

 

Ein Herz und eine Seele

Wir hören diesen Bibeltext in einer Zeit, in der eine neue Bürgerbewegung auf bestehende Ungerechtigkeiten aufmerksam macht.

Rassismus ist Sünde, sagt der Präses unserer Landeskirche diese Woche in einer Videobotschaft.

Und es geht da nicht um ein amerikanisches Thema oder ein britisches oder ein belgisches …

und wir als christliche Gemeinde können auch nicht einfach so tun,

als wäre es eine Problem unserer Gesellschaft, auf das wir hinweisen dürften,

das uns betroffen macht oder sprachlos … es geht uns selbst an.

Auch innerhalb unserer Kirche werden Unterschiede gemacht.

Und wir merken es manchmal gar nicht.

Und wo Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe ausgeschlossen

oder zumindest benachteiligt werden, wird das Zeugnis von der Auferstehung des Herrn Jesus kraftlos.

Ich denke, es ist Zeit, dass wir diese Prägungen in unserem eigenen Denken,

in unserer eigenen Kirche neu wahrnehmen.

Der Blick in unsere eigene Geschichte kann helfen.

Friedenskirche heißt dieses Haus.

Eine Friedenstaube trägt unsere Gemeinde in ihrem offiziellen Siegel.

Sind wir deshalb schon immer Friedensstifter hier in Königssteele?

Apropos Königssteele … der brandenburgische Kurfürst und spätere preußische König genehmigte den Bau der ersten Kircher hier 1695.

Von 1682 – 1711 hatte dieses Fürstenhaus auch eine Handelskompanie

am Horn von Afrika im heutigen Ghana stationiert.

Sie war einige Jahre lang recht erfolgreich tätig im Handel

mit Gold, Gummi und Menschen. Auch dieser König – den wir heute noch im Namen tragen – war also ein Sklavenhändler.

Der Grundstein der zweiten Kirche hier an diesem Ort

wurde am 18. Juni 1871 gelegt.

Man nannte diesen Tag im Deutschen Reich Friedenstag,

weil der Kriegsgegner Frankreich kapitulieren musste.

Deshalb heißt unsere Kirche Friedenskirche.

Auf diesen Friedenstag folgte eine Phase, in der die Deutschen noch einmal versuchten, zu einer Kolonialmacht aufzusteigen.

Kennen Sie Ludwig Schleich?

An ihn erinnert die Gedenktafel hinten in der Kirche.

Er war Reiter im 1. Feldregiment und starb «für König und Vaterland» im «Feldzuge gegen die Herero», wie es auf der Tafel heißt.

Gegen die Herero und Nama im heutigen Namibia verfolgten die deutschen Kolonialherren eine gezielte Vernichtungspolitik.

Nur etwa ein Viertel der Herero überlebte.

Was man damals «Feldzug» nannte,

war Teil dessen, was inzwischen als ein Völkermord bezeichnet wird.

Das ist nur der Blick in die Geschichte,

in einen Teil unserer Geschichte, der uns oft weniger bewusst ist,

als die Zeit zwischen 1939 und 1945.

Diese Geschichte ist hier noch gut sichtbar

und in den Namen, die wir bis heute tragen, hörbar –

wir als Gemeinde Königssteele hier in der Kaiser-Wilhelm-Straße.

 

Ein Herz und eine Seele sein

Für mich beginnt der Weg zum Einssein in dieser Zeit wieder neu.

Er beginnt wieder neu damit,

dass ich mir eingestehe, wie zertrennt wir sind,

weit entfernt unsere Realität vom Einssein ist.

Als weißer Mann habe ich viele Privilegien,

wird es mir leichter gemacht als anderen.

Ich begegne in meinem Alltag kaum Vorurteilen, die mich benachteiligen würden.

Viele Menschen erleben das ganz anders, hier und heute.

Sie erleben Nachteile und Hass

wegen ihrer Hautfarbe,

wegen ihrer (oft nur vermuteten) Herkunft,

wegen Geschlecht, Religion, etc. …

 

Ich weiß noch nicht so ganz genau, wie es jetzt weitergehen soll.

Ich will zuhören.

Und ich will ehrlich darüber Auskunft geben,

was es heißt in diesem Land und in dieser Kirche

als weißer Mann mittleren Alters mit einem deutsch klingenden Namen zu leben.

Ich fange gerade erst damit an.

Ich dachte, für mich wäre das kein Thema mehr.

Aber ich merke, es ist Zeit, neu damit anzufangen.

Mich neu diesen Fragen zu stellen.

Neu hinzuhören, wenn eine von den Übergriffen erzählt, die sie erleben musste.

Neu hinzuhören, wenn einer von den unsichtbaren Mauern zwischen Menschen erzählt,

die seinen Alltag bestimmen.

Wie es dann weiter geht, weiß ich noch nicht genau.

Wann kommt das Handeln nach dem Hören? Was kann ich tun?

Wenn jetzt auch in unserem Land neue Initiativen starten,

dann macht es mir Hoffnung auf Veränderung.

Wenn große Fußballvereine deutlichere Worte finden als bisher.

Aber ich will vorsichtig bleiben, wenn ich von Hoffnung rede.

Denn was zählt schon meine Hoffnung?

Es kommt darauf an, was diejenigen empfinden,

die alltäglichen Rassismus erleben.

Wenn sie Hoffnung haben, dann will ich gerne mit ihnen hoffen.

 

Ein Herz und eine Seele, sind wir nicht. Punkt.

Ihnen war alles gemeinsam. Was heißt das heute? Das frage ich mich.

Amen.