Kind, wer bist du?

 

Eine Predigt von Johannes Heun mit Titus 3,4-7

 

Es ist 2019 und wieder Weihnachten.

Schon wieder stehe ich vor dieser Frage.

Kind, wer bist du?

Wer bist du eigentlich für mich?

 

Für Maria und Josef bist du eine Überraschung,

zuerst für sie und dann auch für ihn.

Diesem ungleichen Paar bist du überraschend anvertraut.

 

Für die Hirten bist du wahrscheinlich einer von ihnen

zwischen Schafen geboren.

Sie hörten die Engel sagen «Fürchtet euch nicht»

und als die dann sangen, klang es doch so,

als wärst du irgendwie auch einer von ihnen.

Himmelsgeschenk und Hirtenkind.

Gottes und der Menschen Sohn.

 

Für die Weisen aus dem Morgenland bist du der neugeborene König der Juden,

anbetungswürdig, Thronfolger, kleiner Prinz.

 

Für Herodes, der gern ein echter König wäre,

seine Traumrolle aber nur dank des römischen Kaisers spielen darf,

bist du eine ernst zu nehmende Gefahr, verabscheuungswürdig,

Erzfeind, Konkurrent, nicht mal lebenswert.

 

Und dann gibt es die, die Jahrzehnte später an dich denken

und mit dir eine Hoffnung fanden, die Evangelien und Briefe schreiben und dir so viele Namen geben.

Sie nennen dich auch die FREUNDLICHKEIT.

 

Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands,

machte er uns selig – nicht um der Werke willen,

die wir in Gerechtigkeit getan hätten, sondern nach seiner Barmherzigkeit –

durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geist,

den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland,

damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben seien

nach der Hoffnung auf ewiges Leben.

Die Weisen der Theologie meinen heute,

das könnten altbekannte Worte sein, die im Brief an Titus rezitiert werden.

Sie klingen wie in eine Art Glaubensbekenntnis, wie ein Lied des Glaubens.

Gut möglich, dass diese Worte einem vor langer Zeit bekannt vorkamen,

sie gehörten vielleicht zu einer altbekannten Melodie,

so dass man beim Hören leicht mitsingen konnte.

So wie wir hier im Advent manches Mal gesungen haben:

Komm, o mein Heiland Jesu Christ, … meins Herzens Tür die offen ist.

Ach zieh mit deiner Gnade ein; … dein Freundlichkeit auch uns erschein.

Wer solche Verse nicht auswendig kennt,

für den verklingt ihr Inhalt ganz schnell wieder.

Die Worte sind zu dicht, um nach einmaligen Hören

mehr als bloß ein paar Stichworte zu behalten.

Also noch mal von vorne und in einer klaren Sprache:

 

Doch dann erschien

die Freundlichkeit und die Menschenliebe Gottes, unseres Retters –

und zwar unabhängig von irgendwelchen Taten,

die wir in unserer Gerechtigkeit vollbracht hätten.

Sondern er hat uns seine Barmherzigkeit geschenkt:

Er hat uns gerettet durch das Bad, aus dem wir neu geboren werden.

Denn mit diesem Bad erhalten wir das neue Leben durch den Heiligen Geist.

Den hat er in reichem Maß über uns ausgegossen

durch Jesus Christus, unseren Retter.

Durch diese Gnade werden wir von Gott als gerecht angenommen.

Und damit werden wir zu Erben des ewigen Lebens –

so wie es unserer Hoffnung entspricht.

 

Jetzt alles klar?

Da erklingt so viel Dankbarkeit: er erschien und brachte so viel mit von Gott.

Er schenkte Barmherzigkeit, rettete, brachte neues Leben, goss den Geist aus,

reichlich, Gott nahm als gerecht an und machte zu Erben des ewigen Lebens.

Heiland, Retter, Menschenliebe, FREUNDLICHKEIT ist mit ihm erschienen.

Mit Jesus Christus erschien die Freundlichkeit in Person.

So viel Dankbarkeit über diese wohlwollende Begegnung.

Maria küsst ihr Kind. Gott küsst die Welt.

So viele Geschenke!

… kommt herbei, füllet frei eures Glaubens Hände.

Hier sind alle guten Gaben und das Gold, da ihr sollt euer Herz mit laben.

Haben wir eben noch gesungen.

Fröhlich soll mein Herze springen.

 

Kind, wer bist du?

Wer bist du für mich?

 

Freundlichkeit macht Freude. Freundlichkeit ist Gold.

Hilfsbereit. Tatkräftig. Ein wohlwollender Blick. Freundliche Worte.

«Über Menschen schwärmen ist zeitlos.»

Diesen schönen Satz habe ich neulich in einer Runde gehört,

als das Gespräch auf einen Kollegen kam.

Es war ein öffentliches Gespräch als Podcast im Internet für alle hörbar.

Da überlegt man ja schon genau, was man über einen sagt,

der sich in dem Moment nicht selbst verteidigen kann.

Aber über Menschen schwärmen ist eben zeitlos.

Das kann man immer machen,

auch wenn der umschwärmte Mensch nicht direkt daneben steht.

Und wenn er später davon hört, dann ist das doch ein schönes Gefühl.

Mensch, die hält ja große Stücke auf dich.

Ihr scheint euch wohl zu verstehen, das tut gut oder?

Ja, wir schätzen uns, sagt er dann vielleicht und lächelt in sich hinein,

und das beruht auf Gegenseitigkeit.

 

dann erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Retters

Von der Freundlichkeit Gottes schwärmt diese alte Hymne im Brief an Titus.

Sie hat alle guten Gaben und Gold für die Herzen der Menschen gebracht.

Nicht wir haben ihn mit unseren Taten zu etwas gebracht.

Die Freundlichkeit hat uns gebracht, was wir uns nicht selbst geben können.

Himmlische Bescherung.

Vielleicht nicht alles, was mal auf dem Wunschzettel stand,

aber alles, was Herzen auf Dauer zum Glänzen bringt.

Sie sagt: Hab keine Angst, dass uns je irgendetwas trennen könnte,

Ich bin wie ein Goldschatz, den niemand dir nehmen kann.

 

Diese Freundlichkeit, sie schwärmt von dir,

ist fehlerfreundlich, vergebungsbereit, unendlich geduldig

und stärker als deine unfreundlichsten Momente je sein könnten.

Sie sagt: Du bist du.

Du bist so wie keine andere Person.

Und du bist wie jede andere Person

manchmal stark und manchmal schwach.

Du bist freundlich

und du kannst ganz schön unfreundlich sein

zu mir, zu anderen und auch zu dir selbst.

Ich weiß das, ich hab dich so gemacht.

Manche sagen dir, wenn du dich jetzt ganz doll anstrengst

und lebenslang trainierst, dann wird das am Ende vielleicht was.

Ich sage dir, ich habe das schon für dich geklärt.

Du kannst du selbst sein.

Du musst keine bessere Version von dir selbst werden.

Du bist unperfekt und ich finde dich jetzt schon wundervoll.

Ich sehe da was in dir, das du vielleicht kaum wahrnimmst,

ich nenne es meinen heiligen Geist und ewiges Leben.

Du bist du. Du bist wertvoll in meinen Augen.

Unsere Freundschaft bedeutet die Welt für mich.

Ich bin da.

Du, ich bin da.

 

Sie haben ihn die Freundlichkeit genannt in ihren Briefen.

Sie, die schon vor so langer Zeit Hoffnung in ihm fanden.

Und in ihr finde ich eine Antwort auf meine Frage in diesem Jahr

zu diesem Weihnachtsfest 2019.

Kind, wer bist du?

Wer bist du eigentlich für mich?

 

Amen.