Pusten, Trösten, Pflaster drauf

Predigt im OnLine-Kurzgottesdienst

 

 

Ein Kinderbuch war eine Zeit lang sehr beliebt bei uns zu Hause.

Der Bär ist heute gar nicht froh,

ihn pikste was. Wo? Am Po!

Er saß auf einem spitzen Ast –

da hat er wohl nicht aufgepasst.

Doch bald hält niemand mehr ihn auf … schnell pusten, trösten, Pflaster drauf!

 

Zu den Bildergeschichten gab es auf jeder Seite ein buntes Pflaster.

Damit konnte die kleine Zuhörerin die Tiere im Buch direkt verarzten.

Das Affenkind, man glaubt es kaum,

das schwang sich gegen einen Baum.

Die Beule auf dem Kopf, auwei,

sieht fast aus wie ein kleines Ei.

Ein Affenkind gibt niemals auf … schnell pusten, trösten, Pflaster drauf!

 

Die Pflaster für das Affenkind und den kleinen Bären

sie klebten irgendwann nicht mehr richtig.

Mit der Zeit sammelten sich kleine Krümel und Staubflusen.

Ihre Wirkung ließ nach.

Ich höre in den letzten Tagen immer öfter von einzelnen und Familien,

dass Dinge die anfangs hilfreich waren und gut funktionierten,

jetzt nicht mehr wirken. Es geht nicht immer so weiter.

«Lagerkoller» – bald kann ich das Wort nicht mehr hören.

In wie vielen Wohnungen fällt kleinen und großen Menschen

jetzt schon seit Wochen die Decke auf den Kopf?!

An wie vielen Fenstern hängen seit Wochen diese Regenbögen?

Ihre fröhlichen Farben verblassen nach und nach im Sonnenlicht.

Und ihr «alles wird gut» hält nicht wirklich, was es mal leichtfertig versprochen hat.

 

Ich hatte in den ersten Wochen, als uns diese globale Krise erreichte,

den Eindruck, dass einige uns ganz schnell überall mit Pflastern versorgen wollten.

Nur schnell pusten, trösten, Pflaster drauf und alles wird gut.

Man reagiert im Krisenmodus manchmal so,

obwohl man selbst schon ahnt, dass gar nicht alles gut gehen oder werden kann.

Aber es hilft immerhin gegen die gefühlte Hilflosigkeit.

Es hilft auch, wenn man irgendwo Chancen in der Krise erkennen kann

oder zu erkennen meint.

Auch ich hoffe, dass wir lernfähig sind und etwas mitnehmen aus dieser Zeit.

Ich glaube aber, dafür müssen wir die Wirklichkeit

auch wirklich an uns heranlassen.

Es gehört dann auch dazu zu akzeptieren, dass wir die ein oder andere Erkenntnis gewinnen, aber eben auch sehr viel verlieren.

Pflaster helfen Kleinkindern bei kleinen Kratzern, sich schnell zu beruhigen.

Dann zeigen sie stolz ihr Aua und bewundern tagelang

die bunten Bildchen auf dem Pflaster.

Was wir gerade erleben, ist aber kein kleiner Kratzer.

Und deshalb reichen unsere schnellen Trostreflexe und Pflästerchen nicht aus.

Ein ehrlicher Blick auf die aktuelle Wirklichkeit ist nötig.

Eine Offenheit für das, was uns gerade alles einholt, überrollt und herausfordert.

The house is on fire.

Die zuvor ungeklärten Probleme lösen sich nicht in Luft auf.

 

Diese Wirklichkeit ist hart.

Die Pandemie reißt tiefe Wunden.

Der schwierige Alltag zerreißt Familien auf engstem Raum.

Der Lockdown kostet Existenzen.

Die wochenlange Einsamkeit kostet Lebensmut.

Arbeit, die vorher schon schwer war, raubt jetzt noch mehr Kraft.

Das Virus tötet.

Auch wenn ich mich nicht infiziere, werde ich sterben eines Tages.

Vielleicht mit 41, vielleicht mit 94 Jahren.

Das ist nichts wirklich Neues.

Aber diese große Krise führt mich persönlich

auf eine neue Art und Weise hinein in diese Wahrheit.

Ich glaube, ich folge dabei dem Gekreuzigten und Auferstandenen, Jesus Christus.

Ihm zu folgen heißt auch das Sterben als Teil des Lebens zu begreifen.

Das ist die Wirklichkeit unseres Lebens, meines Lebens.

Und in den tiefen Wahrheiten, in die Jesus uns hineinführt,

ist Trost zu spüren jedenfalls für mich.

Da ist Halt.

Da erahne ich festen Boden, wie sehr die Welt auch ins Wanken gerät.

Er bewahrt meine Füße vor dem Stolpern. (Ps 66,9)

 

Sein Weg zeigt mir einerseits: auch du wirst sterben,

und Jesus sagt zugleich: Ich lebe und ihr sollt auch leben.

 

Das ist für mich ein Trost der nach-haltig wirkt,

weil er nach allem, was mich treffen wird, noch hält.

Daran halte ich nach allem bisher jedenfalls fest.

Ich lese in der hebräischen Bibel, unserem Alten Testament beim Propheten Jesaja:

Gott spricht: Ich will euch trösten wie einen seine Mutter tröstet.

Gottes Trost ist ein Zuspruch aus wirklich tiefen Quellen,

mütterlich, ursprünglich


Ich bin verbunden mit dem Ursprung des Lebens.

Ich lebe in ihm.

Ich sterbe in ihm.

Höre ihn leise sagen.

Alles wird gut,

ich will dich trösten wie einen seine Mutter tröstet.

Amen.