Ostersonntag 2024
Halleluja!
„Völlig losgelöst“, wollten sie letzte Woche in den Stadien singen.
Die Fußballnationalmannschaft der Herren schießt ein Tor und die Stimmung hebt ab.
Alle singen die Hymne. Ein Moment unbeschwerter Freude.
Fußballdeutschland hatte diese Woche endlich wieder Siege zu feiern und von der Welle der Euphorie getragen,
unterschrieben Zehntausende eine Petition für eine neue Torhymne.
Man singt mit Freuden vom Sieg, so hieß es heute im Psalm.
„Völlig losgelöst“ singen wir ab heute wieder zahlreiche „Hallelujas“ in unseren Gottesdiensten.
Getreu dem Motto: Wir wollen alle fröhlich sein in dieser österlichen Zeit.
Und ein Text aus dem 1. Buch Samuel ruft uns ein altes Loblied in Erinnerung.
Samuels Mutter Hanna singt das Lied.
Ihn kennen wir als Propheten Gottes – Samuel salbt die ersten Männer,
die sich Könige von Israel nennen dürfen: Saul und David.
Samuel heißt „Gott hört“ und er ist eine Gebetserhörung ganz besonders für seine Mutter.
Ihr erstes und lang ersehntes Kind.
Hanna ist voller Freude und Dankbarkeit.
In ihrem Lied sind neben ihrer Erleichterung und Freude auch die leidvollen Erfahrungen noch deutlich zu hören.
Die abschätzigen Blicke und verletzenden Worte, jetzt kann sie all das endlich hinter sich lassen.
Hanna betete und sprach:
Mein Herz ist voll Freude über den Herrn.
Der Herr hat mich wieder stark gemacht.
Mein Mund lacht über meine Feinde.
Denn ich freue mich über deine Hilfe.
Keiner ist so heilig wie der Herr,
denn es gibt keinen Gott außer dir.
Kein Fels steht so fest wie unser Gott.
Redet nicht so viel und hoch daher!
Kein freches Wort komme aus eurem Mund.
Denn der Herr ist ein Gott, der alles weiß.
Schändliche Taten duldet er nicht.
Der Bogen der Starken wird zerbrochen,
die Schwachen aber bekommen neue Kraft.
Die Satten müssen sich ihr Brot verdienen,
die Hungrigen aber sind den Hunger los.
Die Unfruchtbare bringt sieben Kinder zur Welt,
doch das Glück der Kinderreichen schwindet.
Der Herr tötet und macht lebendig,
er führt ins Totenreich und wieder heraus.
Der Herr macht arm und macht reich.
Er drückt nieder und richtet wieder auf.
Den Geringen zieht er aus dem Staub,
den Armen holt er aus dem Dreck.
Seinen Platz gibt er ihm bei den Fürsten
und lässt ihn mit Würde auf einem Thron sitzen.
So betet Hanna und mit welcher Hymne loben wir Gott heute?
Sind Sie überhaupt schon im Überschwang der Osterfreude „völlig losgelöst“ oder stehen Sie noch zitternd vor dem leeren Grab?
Blicken Sie schon – wie Hanna – dankbar zurück oder bitten Sie noch darum und warten auf die entscheidende Wende?
Fragen sich, wann sie kommt und wie und ob überhaupt?
Ostern steht für den Grund unserer Hoffnung,
dass es sich lohnt zu beten und zu warten und nichts unversucht zu lassen.
Osterfreude ist mehr als bloßer Optimismus, positives Denken.
Was ist das, was einen Menschen ausdauernd beten und wirklich hoffen lässt und dann auch ins Handeln bringt trotz aller Ungewissheit?
Optimistische Menschen können sich gut ablenken.
Das kann im Alltag sehr hilfreich sein, ist aber nicht ausreichend für einige Krisen des Lebens
und noch weniger für die Krisen einer ganzen Zivilisation.
Wer eine Hoffnung hat, die auch in Krisenzeiten trägt, setzt sich mit der Wirklichkeit auseinander, so schwer das auch fällt.
Deshalb sprechen manche dabei auch lieber von einer „radikalen Hoffnung“.
Ein radikal hoffender Mensch könnte seine Haltung so ausdrücken:
(nach Jonathan Lear, Radikale Hoffnung, Seite 144:)
Ich erkenne, dass wir nicht mehr wissen,
worauf wir unsere Hoffnungen und Absichten konkret richten können.
It’s the end of the world as we know it.
Unsere Kultur, unsere Art zu wirtschaften, uns zu ernähren, mit den Ressourcen dieser Welt umzugehen,
unsere Wertmaßstäbe, unsere gesamte Lebensweise könnten zu Ende gehen. Und wir wissen noch nicht, was danach kommt.
Es werden Veränderungen eintreten, die alles übersteigen, was wir uns derzeit vorstellen können.
Sicher wissen wir nur, dass wir uns der Zukunft nicht
auf die Art und Weise stellen können, wie wir es gewohnt waren.
Wir müssen also alles tun, was in unserer Macht steht, um unsere Vorstellungskraft für radikal andersartige
zukünftige Möglichkeiten zu öffnen.
Es genügt mir nicht, einfach zu überleben.
Ich hänge an einem, den ich Gott nenne und an seiner Güte, der Güte der Welt.
Sie übersteigt alles.
Ich habe mich dem Gedanken verschrieben, dass etwas Gutes hervortreten wird –
selbst wenn es mein jetzt so begrenztes Vermögen übersteigt, zu begreifen, was dieses Gute ist.
Die Hoffnung, die aus der Begegnung mit dem Auferstandenen wächst, trägt, weil sie in der Wirklichkeit verwurzelt ist.
Es geht im Kern nicht darum, etwas für wahr zu halten, das unserer Erfahrung völlig widerspricht
und uns dadurch von den wahren Problemen erfolgreich abzulenken.
Es geht nicht um ablenkenden Optimismus, sondern um den Mut, der Wirklichkeit ins Auge zu blicken.
So gewagt es vielleicht klingt: ein Gott der ins Totenreich führt und wieder heraus,
der kann immer neue Wege gehen, ist nie am Ende aller Möglichkeiten.
Und deshalb führt diese Hoffnung auch nicht dazu, dass alles vergebens ist,
sondern dass es sich lohnt immer weiter zu fragen und offen zu sein
und nach neuen Antworten und Möglichkeiten zu suchen.
Radikal Hoffende erkennen, wie begrenzt ihre Erkenntnis, ihre Sprache,
auch ihre Werte und Vorstellungen von einem guten Leben sind.
Sie suchen weiter danach getragen von der Hoffnung, dass das Gute sich wieder zeigen wird
und neue Antworten auf die Frage nach einem guten und gelingenden Leben
zu finden sind – irgendwo da draußen müssen sie sein.
Die Jüngerinnen und Jünger Jesu hatten eine Hoffnung,
die bis heute nachklingt, auch weil sie sich nicht versteckt haben.
Unsere christliche Hoffnung dient nicht zu unserer Ablenkung, sondern zur Ermutigung.
Rückzug und Weltflucht sind nachvollziehbare Reaktionen, aber keine, die von Hoffnung zeugen.
Maria Magdalena, Salome und die zweite Maria wollen etwas tun,
dann packt sie zunächst doch wieder das Entsetzen. Sie ziehen sich zurück.
Sie brauchen Zeit, um aus ihrer schweigsamen Angst ins Reden zu kommen.
Aber dann teilen sie ihre eigene Ostererfahrung mit.
Und bald sind sie nicht mehr die Einzigen.
Sie können die zunächst unaussprechliche Erfahrung mit anderen teilen, denen Ähnliches widerfahren ist.
Und sie entwickeln eine gemeinsame Sprache dafür.
Sie finden Worte, die sich passend anfühlen.
Sie beten und loben Gott. Sie kommen dann auch ins Singen.
Nachdem sie nicht nur das leere Grab,
sondern auch den Auferstandenen persönlich gesehen haben, könnte ihnen Hannas Lobgesang in den Sinn gekommen sein.
Da war doch schon etwas von dem Gott, dessen Königreich auch das Totenreich mit einschließt.
Und dann packt jemand eine Trommel aus, spielt zum Tanz auf und die Frauen zitierten dazu Hannas Worte:
Der Herr tötet und macht lebendig,
er führt ins Totenreich und wieder heraus.
Der Herr macht arm und macht reich.
Er drückt nieder und richtet wieder auf.
Den Geringen zieht er aus dem Staub,
den Armen holt er aus dem Dreck.
Seinen Platz gibt er ihm bei den Fürsten
und lässt ihn mit Würde auf dem Thron sitzen.
Gebete und Hymnen – seit je her sind ihre Worte variiert, die Melodien neu interpretiert worden.
Manches geriet in Vergessenheit und wurde wieder entdeckt, umgeschrieben und neu gedichtet.
Wenn wir unsere Erfahrungen in Worte fassen, dann verwenden wir Worte, die schon da waren.
Wir machen sie uns bewusst oder unbewusst zu eigen.
Unsere neuen Gebete und Lieder sind Collagen,
Remixes, Variationen so wie diese:
Der Herr tötet und macht lebendig,
er führt in die Krise und wieder heraus.
Der Herr macht leise und wieder laut,
still schweigend und lässt die Menge jubeln.
Er macht reglos und lässt die Menschen fröhlich tanzen.
Die Hoffnungslosen holt er wieder auf die Beine,
die Hilflosen rettet er aus ihrer Passivität.
Sie entdecken wieder, was sie selbst gestalten können
und erleben, dass sie etwas beizutragen haben.
Sie nehmen ihren Platz ein auf dem Weg in eine neue Zeit
und gehen weiter mit radikaler Hoffnung.
Amen.
Der Herr ist auferstanden.
Ja, er ist wahrhaftig auferstanden!