Schwanger gehen im Advent

In die Adventszeit gehört die Geschichte von Zacharias und Elisabeth, wie sie das Lukasevangelium im 1. Kapitel erzählt. Der Priester Zacharias bekommt im Tempel Besuch von einem Engel. Der prophezeit ihm, dass er und Elisabeth, obwohl sie schon ein altes Paar sind, noch ein Kind haben werden. Das sollen sie Johannes nennen. Zacharias ist total erstaunt und fragt nach, ob das wahr ist. Daraufhin sagt ihm der Engel, dass er von nun an stumm sein wird, bis das Kind geboren wird.

Neun Monate Schweigen. Neun Monate nicht reden, nicht erzählen können von dem, was dir geschehen ist, Zacharias, nicht Fragen stellen, Träume teilen, Ängste nennen. Das stelle ich mir schwer vor!

Du hast es nicht glauben wollen, Zacharias, nicht glauben, dass du und Elisabeth noch Eltern werdet. Und ein Kind haben! Ihr beide, ein hochbetagtes Paar. Den Traum hattet ihr lange schon begraben. Auch wenn ihr noch immer darum batet. Aber mal ehrlich: wie ernst war es dir noch mit deinem Gebet? Irgendwann wird selbst die Hoffnung zur Routine.
Da hilft auch ein Engel vom Himmel nicht mehr. Begraben und tot sind sie, eure Lieder von früher; die Gebete um Neuanfang, die Worte der Sehnsucht. Was soll denn noch kommen?

Du bist alt, Zacharias, und machst deinen Job, noch immer, bist Priester, irgendwo auf einem Dorf. Bist für die Menschen da, bringst ihnen Gott nah, betest, segnest. Zweimal im Jahr darfst du in die Hauptstadt reisen, an den Tempel von Jerusalem, um dort deinen Dienst zu tun, um dort zu beten, zu segnen und – wenn du Glück hast – im Allerheiligsten vor dem Allerhöchsten zu stehen. Nicht allen ist er vergönnt, dieser besondere Moment, Höhepunkt in einem Priesterleben; das Los entscheidet; manchmal wartet man lebenslang – und vergeblich, dass man auserwählt wird. Diesmal trifft es dich, Zacharias! Was magst du empfunden haben, als dein Name erklingt?

Voll Ehrfurcht und auch aufgeregt, so denke ich mir, betrittst du den heiligsten Ort im Tempel. Du allein. Still ist es hier, dämmrig, die Menschen draußen weit weg. Wie in einer Höhle, wie im Mutterleib. Nur du und dein Gott. Du sollst ein Räucheropfer bringen für die Sünden der Menschen. Und Gott ist nah, näher als du denkst. Sein Engel spricht zu dir:

Dein Gebet ist erhört, Zacharias, deine Frau Elisabeth wird schwanger werden. Ihr werdet ein Kind haben, einen Jungen. Den sollst du Johannes nennen. Das heißt: Gott ist gnädig.

Du bist wie vom Donner gerührt, erzählt Lukas, als habe der Blitz eingeschlagen, nimmt es dir die Sprache. Damit hast du nicht gerechnet. Dass Gott Gebete erhört. Wie soll das gehen, fragst du?

Die Antwort auf diese Frage musst du selber finden. Darum wirst du schweigen, wirst stumm sein, neun Monate lang, solange wie ein Kind braucht, um heranzuwachsen und geboren zu werden. Neun Monate in dich gehen, lauschen, sinnen, warten, seelisch wachsen. Und schweigen. Schweigen.

Und während du stumm bist, geschieht es: Elisabeths Bauch wächst. Wird rund und immer runder. Jedermann kann es nun sehen: Da kommt ein Kind. Und die Freude ist groß. Hast du schon gehört? Elisabeth und Zacharias sind gesegnet! Auch noch im Alter! Gesegnet! Gott hat sie nicht vergessen. So lautet ja auch dein Name. Zacharias heißt: Gott gedenkt.
Er macht deinem Namen alle Ehre.

Und du? Du werdender Vater? Auch du gehst schwanger, Zacharias, in diesen Wochen. Auch in dir wächst Neues. Kein Kind aus Fleisch und Blut. In dir wächst neues Vertrauen, Hoffnung auf einen Neuanfang. Wie oft wirst du dir die Worte des Engels ins Gedächtnis gerufen haben in diesen neun Monaten, die Worte über dein Kind:
Er wird groß sein vor dem Herrn;
Er wird vor ihm hergehen.
Er wird viele zu Gott bekehren.
Er soll Johannes heißen: Gott ist gnädig.
Du wendest die Worte hin und her in deinem Herzen. Sie wärmen dich; sie füllen dich mehr und mehr aus. Sie machen dich staunen. Über deinen Gott und seine Wege.

Dann ist es soweit: Das Kind kommt zur Welt. Euer Kind, Zacharias. Es spricht sich herum wie ein Lauffeuer; die Nachbarn strömen, um das Wunder zu sehen. Gefragt nach dem Namen schreibst du auf die Tafel:
Er soll Johannes heißen. Schreibst damit: Ja und Amen. Gott ist mir begegnet im Tempel. Und hat mein Leben berührt.

Und weil das nicht genügt, weil die Freude raus muss aus dir, öffnet sich dein Mund – nach langer Zeit – und heraus sprudelt, was in dir ist: ein Gotteslob, ein Dankelied.

Gelobt sei der Herr, denn er kommt zu Besuch und macht uns frei. Durch seine Barmherzig-keit wird uns besuchen das aufgehende Licht aus der Höhe. Es wird aufglänzen für uns in der Finsternis und im Schatten des Todes, und wird unsere Füße lenken auf den Weg des Friedens.

Das ist prophetisch, Zacharias. Das ist wie im Traum. Du siehst Licht; aufgehen wie am Morgen, wenn die Sonne über den Horizont steigt. Licht aus der Höhe, vom Himmel. Es breitet sich aus, verscheucht die Nacht, Schatten des Todes weichen. Die Geburt deines Kindes, des späteren Johannes des Täufers, macht dich zum Propheten für Gottes Kommen in die dunkle Welt.

Ist das nicht Advent? Das Singen und Reden vom Licht, das von Woche zu Woche mehr wird, uns aus den Finsternissen reißt und hoffen lässt?

Ist das nicht Advent? Das Schwangergehen mit den Worten des Engels: Fürchte dich nicht, Gott kommt! Das Licht aus der Höhe, es ist schon auf dem Weg, um auch dich und dein Leben zu bescheinen. Gott ist das Licht; Gott, der das Licht schuf am Anfang der Zeit und auch deiner gedenkt.

Ist das nicht Advent? Das Hoffen und Warten, dass etwas geboren wird in meinem Leben, etwas von Gott in mir, das mir Mut macht und Kraft schenkt, das mich gehen lässt auf dem Weg des Friedens.

Die Wochen des Wartens wurden dir zum Segen, Zacharias. Aus dem Schweigen bist du ins Singen und Loben gekommen, aus der Routine neu ins Hoffen. Das Licht aus der Höhe scheint freundlich auf dich.

Auch uns können die Wochen des Advent zum Segen werden. So dass wir ins Loben kommen, aus der Routine neu ins Hoffen. Denn Gott kommt. Sein Licht aus der Höhe breitet sich aus, verscheucht das Dunkel, Schatten des Todes weichen. Amen.

Hanna Mausehund