Weihnachtswandel

Eine Predigt mit Micha 5,1-4a

 

Ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird;

denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.

So oft schon habe ich diese Sätze gehört.

Sie gelesen und in mich aufgenommen.

Dort in mir treffen jedes Jahr einen etwas anderen Menschen.

Dieses Jahr berühren sie mehr als sonst das Dunkle.

 

«… die bedeutendsten Ereignisse in Jesu Leben (hatten) im Dunkeln stattgefunden (…):

seine Geburt, seine Gefangennahme, sein Tod, seine Auferstehung.»

So las ich neulich in meinem Adventskalender.

Und heute lese ich beim Propheten Micha: (Micha 5,1)

Und du, Betlehem Efrata,

die du klein bist unter den Tausenden in Juda,

aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei,

 

Efrata ist der alte Name von Bethlehem.

In dieser Gegend starb Rahel, Jakobs Frau, eine Mutter der 12 Stämme Israels.

Auf dem Weg nach Betlehem-Efrata bringt sie ihren Sohn Benjamin zur Welt.

(1Mo 35,17) Da ihr die Geburt so schwer wurde, sprach die Hebamme zu ihr:

Fürchte dich nicht, denn auch diesmal wirst du einen Sohn haben.

So steht es im 1. Buch Mose.

 

Dort in der Nähe von Betlehem weint ihre Familie um sie.

Dort auf dem Weg nach Efrata wird Benjamin geboren

und seine Geburt kostet Rahel das Leben.

So nah kann das beieinander liegen.

So nah liegen großes Glück und großes Leid oft beieinander.

Von dort soll er also kommen, aus diesem Ort der Tränen, der zur Stadt Davids wurde.

Wer den Propheten damals hört, weiß, dass Rahel dort begraben liegt.

Und bis jene, die gebären soll, geboren hat, vergeht noch eine schwere Zeit, sagt der Prophet,

dann aber wird der Rest seiner Brüder zurückkehren zu den Israeliten.

Und er wird auftreten, und mit der Kraft des HERRN wird er sie weiden,

mit der Hoheit des Namens des HERRN, seines Gottes.

Dann werden sie wohnen bleiben,

denn nun wird er groß sein bis an die Enden der Erde.

Und mit ihm wird der Friede kommen.

 

Wie hören wir die Weihnachtsbotschaft in diesem Jahr?

In welche Dunkelheit hinein kommt er in diesem Jahr? In welche Trauer?

Manchmal war es kaum auszuhalten.

Aber wir sind noch hier, wir halten es aus.

Ein Weihnachtsfest, ein Gottesdienst, so ein fröhlicher Anlass

und zugleich ein Fest, das uns erinnert an das, was fehlt und an die, die fehlen.

Immer wieder höre ich, dass manche Weihnachten lieber meiden,

auch eine Kirche lieber meiden, weil es ihnen zu schwer ist,

weil die Traurigkeit zu tief ist an einem solchen Tag.

 

Erst vor wenigen Tagen erzählte mir jemand,

dass er mit unserer Kirche genau das verbindet:

«Hier habe ich zum letzten Mal mit einer Frau gemeinsam einen Gottesdienst besucht.»

Trotzdem war er da, hielt es aus.

 

So kommt der verheißene Retter mitten in eine Notlage.

Wohin auch sonst?

Er kommt aus einer kleinen Stadt und soll trotzdem ein ganz Großer werden.

Dieser Anfang ist klein und wird doch ausreichend sein,

um zum Ausgangspunkt zu werden für etwas Wunderbares.

Der Weg zum neuen Morgen führt durch das Dunkel der Nacht.

«Immer wenn neues Leben entsteht, ist die Dunkelheit

ein unabdingbarer Bestandteil des Vorgangs,

(schreibt die Schriftstellerin in meinem Adventskalender)

Ob es sich um die Raupe in der Chrysalis handelt,

um den Samen in der Erde,

das Kind im Mutterleib

oder das wahre Selbst in der Seele,

es gehört immer eine Zeit des Verharrens in der Dunkelheit dazu.»

Sie denkt an die Dinge, die wir persönlich zu ertragen haben,

die wir teils schon lange mit uns herumschleppen.

Nehmen wir die schmerzenden Teile von uns in den Arm

und wiegen sie sanft hin und her, schlägt sie vor.

Denn neues Leben braucht solche Zuwendung.

Nehmen wir diese empfindlichen Stellen an und behandeln sie wie etwas Beschützenswertes,

wie ein Baby, das unsere Zuwendung braucht und alleine nicht zur Ruhe kommen kann.

So kann es weitergehen.

So können wir weitergehen in einen neuen Tag, eine neue Zeit.

 

Und was ist mit dem, das nicht in uns ist, sondern um uns herum?

Was ist mit dem ganzen, das nicht Teil von uns ist,

aber das uns doch mitnimmt, weil es unser Mitgefühl weckt?

Was ist mit den vielen schmerzenden Stellen dieser Welt?

Die Engel sprechen doch von Friede auf Erden.

Und Micha verspricht: mit ihm wird der Friede kommen.

Die Verwirklichung lässt offensichtlich noch auf sich warten.

Diese Welt liegt immer noch in Wehen,

auch nachdem Christus, der Herr, in der Stadt Davids geboren wurde

und nach so vielen Weihnachtsfesten, die wir schon gefeiert haben,

leben wir im Licht des anbrechenden Tages, aber wann wird es endlich so weit sein?

Wann wird das Licht endlich alles erleuchten?

Warum ist die Zeit so lang, der Weg so beschwerlich?

 

Ein Lied begleitet mich durch dieses Jahr,

es ist auch zu einer Art Weihnachtsbotschaft für mich geworden.

Eine Frauenstimme erzählt darin auf besondere Weise von der Geburt:

Während wir im Mutterleib größer und größer werden,

wird der Abstand zwischen uns und der Welt da draußen

immer kleiner und kleiner.

Und unsere Welt, die am Anfang so riesengroß wirkte

und so unendlich heimelig, wird nun ungemütlich.

Die Zeit ist gekommen, wir müssen geboren werden.

Und jemand hat gesagt, eine Geburt sei so chaotisch und gewaltsam,

er gehe sicher davon aus,

dass wir in diesem Moment alle denken:

«Das war’s jetzt. Das ist der Tod. Das ist das Ende meines Lebens.»

Und dann werden wir geboren und sind überrascht, weil es einfach nur der Anfang ist.

 

Mich fasziniert das.

Es inspiriert mich zu denken, dass es ein Ur-Muster des Lebens ist.

Ja, manches Dunkle ergibt keinen Sinn.

Ich kann nicht in jeder leidvollen Erfahrung etwas Gutes entdecken.

Aber die alten Texte, die wir zu Weihnachten wieder neu hören,

erinnern mich, dass Krise keine Ausnahme, sondern eher der «Normalzustand» ist.

Die erste Krisenerfahrung machen wir schon, wenn wir zur Welt kommen.

Viele Schritte in unserer Entwicklung persönlich und als ganze Familie Mensch

gehen wohl mit Krisen einher. Etwas fühlt sich an, als wäre es das Ende

und wir erleben darin zugleich schon einen neuen Anfang.

Es dauert nur, bis wir das merken.

Und manchmal merken wir es erst im Nachhinein, wenn wir hindurch gegangen sind.

Währenddessen ahnen wir es manchmal,

aber wissen oft noch gar nicht, wie das neue sein wird,

als was es sich letztendlich entpuppen wird.

So ist Leben ein ständiger Wandel.

 

Weihnachten – ein Fest, das mir früher so vorkam,

als stünden die Uhren mal für einige Tage still –

es wird mir immer mehr zu einem Fest des Wandels, der Verwandlung.

Wir feiern eine Geburt, eine Krise, einen Schritt ins Leben unter Schmerzen.

Unvermeidlich

Licht und Dunkel liegen hier so nah beieinander.

Es muss so sein.

Du Betlehem Efrata,

aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, sagt der Prophet Micha,

sein Ausgang ist von Ewigkeit her gewesen.

Es ist von Ewigkeit her so: das Muster des Lebens.

Es ist ein stetiger Wandel.

Unsere Wege führen durch das Dunkel hindurch ins Licht.

So ist es schon immer gewesen.

So wird es wohl immer sein.

 

Ich glaube an dieses Licht, auch wenn ich es nicht immer sehen kann.

Ich vertraue dieser Botschaft trotz allem,

wenn ich diese Worte heute wieder höre:

Ich verkündige euch große Freude,

die allem Volk widerfahren wird;

denn euch ist heute der Heiland geboren,

welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.

 

Amen.