Wozu braucht man eine Kirche?

Pfarrerin Silke Althaus im Festgottesdienst „150 Jahre Friedenskirche“

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen!

Liebe Gemeinde,

wozu braucht man eine Kirche?

Freitagabend bei dem historischen Vortrag zur Friedenskirche habe ich einige interessante Dinge erfahren.
z.B.: Um eine evangelische Predigt zu hören, mußten Ihre protestantischen Vorfahren 1663 bis nach Rellinghausen wandern.
Dort gab es ein Wirtshaus, dass die nächste evangelische Predigtstätte war.

Also: Wozu braucht man eine Kirche?

Im Vorfeld zu Ihrem Jubiläum bekam ich die ein oder andere email,
gab es hier und da Gespräche und dann hieß es:
„Friedenskirche – ja, da war meine Mutter 50 Jahre in der Frauenhilfe.“
Oder: „Da habe ich vor einigen Jahren meine goldene Konfirmation gefeiert.“
„Meine Schwester war in der Friedenskirche Kindergottesdiensthelferin.“

Ich freue mich auf den Film nach dem Gottesdienst,
in dem einige von Ihnen erzählen, was Ihnen die Friedenskirche bedeutet.
Was Sie hier besonderes erlebt haben.
Wo Ihr Lieblingsplatz in dieser Kirche ist.

All dies wird sicherlich helfen zu beantworten:
Wozu haben Sie diese Kirche?

Oder: Reicht nicht auch ein schönes, funktionales Gemeindezentrum?

Um der Antwort auf die Spur zu kommen,
erinnere ich uns an eine Geschichte aus dem Alten Testament, der hebräischen Bibel,
aus dem 1. Buch der Könige: (8. Kapitel)

Zentrale Figur dieser Geschichte:
König Salomo: Es ist ein großer Tag für ihn.
Ein Festtag.
Endlich! Der Tempel, an dem er so lange hat arbeiten lassen, ist fertig!
Heute ist der Tag der Tempeleinweihung.
Jeder in der Stadt ist gekommen, um mitzufeiern –
Stammesführer, Priester und Leviten,
die kleinen und großen Berühmtheiten Jerusalems –
sie alle sind da, um bei diesem Ereignis mit dabei zu sein.

In einer farbenprächtigen, festlichen Prozession wird die Bundeslade in den Tempel gebracht.
Die Menschen stehen ehrfurchtsvoll am Wegesrand.
Sie wissen:
In der Bundeslade, dieser Kiste, sind die 2 steinernen Tafeln, auf denen die 10 Gebote geschrieben sind.

Danach wird das heilige Zelt in den Tempel getragen.
Jahr um Jahr sind ihre Vorfahren durch die Wüste gezogen.
In dieses Zelt hat Moses sich zurückgezogen,
wenn er betete und mit Gott sprach.
Nur dieses kleine wackelige Zelt war Zeichen ihrer Hoffnung,
dass Gott noch immer mit ihnen war in der Wildnis und der Trostlosigkeit der Wüste.
Die Menschen haben Tränen in den Augen, wenn sie daran denken.

Und nun sind sie hier.
Aufgeregt, gespannt und mit hohen Erwartungen.
Salomo, sprich zu uns! Laß uns von diesem neuen Tempel hören!
Salomo holt Luft.
Dies könnte die wichtigste Rede seines Lebens sein.
Der Höhepunkt seiner politischen Karriere: die Einweihung des Tempels.
Und dann – sein erster Satz fällt wie ein Stein zu Boden:
“Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen?
Der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen,
wie sollte es dann dieses Haus tun, das ich gebaut habe.“ (V.27)

Alle halten die Luft an.
Salomo blickt sich um – und sieht:
ein großes, aber einfaches, nicht besonders ausgefallenes Haus;
50 Meter lang, 25 Meter breit, 15 Meter hoch.
Gebaut mit Zedern und Zypressenholz, etwas Blattgold als Schmuck.
Nichts Spektakuläres.
Kein Gebäude, das einem den Atem raubt.
Wie konnte er glauben, Gott ist hier?
Wie konnte er hoffen, Gottes Gegenwart wäre an diesem Ort?

Und gerade jetzt als Salomo auf seine geheimsten Gedanken lauscht,
weiß er nur zu gut: es gab eine Menge Gründe, diesen Tempel zu bauen,
die meisten waren nicht besonders heilig.

Da war der Wunsch, seine Macht zu vergrößern und sein Königreich zu festigen.
Und natürlich auch ein bisschen Glanz und Ruhm für seinen Namen:
König Salomo baute den Tempel!

Das klingt einfach zu gut.
Aber jetzt – er hat seine Rede zu halten.
Für welchen Zweck bestimmt er diesen Tempel?
Wofür soll er da sein?
Was können die Menschen erwarten, wenn sie dieses Haus betreten?

Und hier sind wir – in der Friedenskirche zu Essen- Steele.
Mit wie viel Hoffnungen und Erwartungen wurde diese Kirche gebaut?
Damals, als die zu klein gewordene Kirche von 1697 abgebrochen wurde.
Die Gemeindegliederzahl hatte sich im Verlauf von nur 50 Jahren verzehnfacht.
Und nebenan in der katholischen Gemeinde wurde der Neubau von St. Laurentius geplant.
Also: lasst uns eine Kirche bauen….
„Das dürftige Gotteshaus muß durch ein würdigeres ersetzt werden.“
So hieß es damals.

Haben sich die Hoffnungen, die Nöte und Sorgen der Menschen gewandelt,
die im Laufe der 150 Jahre hier in die Kirche kamen?
Um ein Gebet zu sprechen,
um in Dankbarkeit eine Taufe oder Hochzeit zu feiern?
Um in Trauer Abschied zu nehmen?
Ich glaube nicht.

Der Ort Steele hat sich im Laufe der 150 Jahre sehr verändert,
wurde größer, unruhiger, es wurde abgerissen und neu gebaut.
Und schließlich wurde Steele sogar Teil der Stadt Essen!

Auch das Gebäude der Friedenskirche hat sich im Laufe der Jahre gewandelt.
Das Steingewölbe mußte durch ein Holzgewölbe ersetzt werden.
Der Taufstein, die Orgel kamen später hinzu.
Die Bänke wurde 2007 durch Stühle ersetzt.
Doch – trotz allen diesen Veränderungen – ist es die eine Frage,
die den Sinn und Zweck dieses Gebäudes beantworten muss:
Kann dies ein Haus der Gegenwart Gottes sein?

Hören wir auf Salomo, worum er schließlich bittet:
Mein Gott, lass deine Augen offen stehen über diesem Haus Tag und Nacht,
über der Stätte, von der du gesagt hast. Da soll mein Name wohnen.
Du wollest hören das Gebet deines Knechts und deines Volkes Israel,
wenn sie hier bitten werden an dieser Stätte;
und wenn du es hörst in deiner Wohnung, im Himmel, wollest du gnädig sein.“

Und Salomo wird dann sehr konkret:
Wenn jemand beschuldigt wird, einem anderen Böses angetan zu haben
und er kommt zu deinem Altar – höre auf sein Gebet!
Wenn Menschen niedergeschlagen sind
oder wenn eine Hungersnot, eine Seuche oder Pest über das Land hereinbricht –
höre auf ihr Gebet!
Wenn ein Fremder kommt, um in diesem Tempel anzubeten –
erhöre ihn!
Wenn Menschen schuldig geworden sind und sie bitten um Vergebung – sei ihnen gnädig und erhöre ihr Gebet!“

Das ist es, was wir erwarten dürfen.
Das ist es, was Gott verspricht, wenn er sagt:
Mein Name soll hier wohnen.
Gott verspricht: Ich will euch hören!

Wir dürfen zu Gott rufen.
Wir dürfen seinen Namen anrufen.
Wir können dies gemeinsam tun – hier im Gottesdienst,
in gemeinsam gesprochenen Fürbitten, im VaterUnser, in Liedern.

Wir können dies in der Stille tun.
Allein im Gespräch mit Gott.
Manche kommen hier in die Offene Kirche – samstags – suchen die Stille, entzünden eine Kerze.
Natürlich, so mag mancher einwenden, hört Gott doch auch das Gebet im Wohnzimmer oder im Auto.
Gewiß.
Aber unser Glaube braucht besondere Orte.
Orte, die uns herausnehmen aus dem Alltag und öffnen für Gott.
Ein solcher Ort kann die Friedenskirche sein.

Und wie ist das mit der Gegenwart Gottes?
Ist sie einfach hier – per se, weil es eine Kirche ist?

Ich finde, das Konzept oder besser die Idee des jüdischen Tempels gibt darauf eine Antwort.
Nicht eine einfache Antwort, wie „Ja, Gott ist hier“,
aber eine weise und tiefe Antwort.
Im Allerheiligsten – also im hinteren Teil des Tempels –
stand ein Thron.
Zwei geflügelte Kreaturen, die wir Cherubim nennen,
standen dort Seite an Seite und bildeten mit ihren Flügeln diese Art von Thron.
Der Thron war leer.
Das war kein Fehler, keine Fehlkonstruktion oder ein Versehen,
sondern eine bewusste Entscheidung.
Es sollte eine Erinnerung sein –
Eine Erinnerung daran, dass wir uns kein Bildnis von Gott machen sollen.
Der leere Thron – eine Erinnerung daran,
dass wir uns Gott nicht einfach verfügbar machen können;
benutzen für unsere Bedürfnisse.
Gott entzieht sich unserem Blick.
Wir werden Gott nicht erzählen, wie Gott zu sein hat.

Aber daneben – war dieser Thron auch eine Erinnerung daran:
Gott ist nahe. Gott nimmt hier Platz, hier steht sein Thron.
Gott ist gegenwärtig.
Dies ist das Haus Gottes.
Natürlich kann dieses Haus nicht Gott umfangen,
der größer ist als Himmel und Erde,
aber sein Name soll hier wohnen.

Dies ist Aufgabe, Sinn und Zweck auch unserer Kirchen.
Auch dieser alten Friedenskirche hier in Steele.
Zeuge sein von Gottes Vergangenheit und Gottes Zukunft mit uns.

Das war ihre Aufgabe 150 Jahre hindurch.
Dies ist ihre Aufgabe auch in der Zukunft.

Und dann haben all die Sorgen und Nöte, derer die kommen, hier ihren Platz:
die Böses erlebt haben, die niedergeschlagen sind, die fremd sind,
die Hunger, Pest und Seuchen erleiden,
die schuldig geworden sind.
Unsere Not findet hier einen Raum.
Hier können wir unser Gebet sprechen.
An diesem Ort, an dem Gottes Name wohnt.

Dazu haben Sie diese Kirche.

Amen.

 

13.11.2022